Lenke meine Fuesse Herr
Saint-Alban zu kommen — zwei Tage habe ich jetzt getrödelt, in Le Puy einen zusätzlichen Tag verloren, es muss wieder vorwärts gehen!
Ich hatte mit Esther verabredet, mit ihr gemeinsam auf die Post zu gehen und warte nach dem Frühstück auf sie. Die Posthalterin drückt mir einen praktischen Faltkarton in die Hand und mit dem Porto zahle ich jetzt 24,00 € — da frage ich mich doch, was daran so teuer sein soll! Achthundert Gramm sind doch kein Riesenpaket! Esther soll für 200 Gramm 12,00 € zahlen und verzichtet.
Wir wandern gut zusammen. Ich schlage einen flotten Schritt an und sie hält mit, während wir über den Jakobsweg philosophieren: dass er verändert, und dass das Laufen Adrenalin ausschüttet, und das macht süchtig! Ein kleiner schwarzer Hund mit einem komisch schiefen Schwanz gesellt sich zu uns — erst denken wir, er gehöre einem französischen Ehepaar, das vor uns läuft, doch als wir die beiden einholen, heißt es: „Non, ce nest pas notre chien!“
Blumen: wilde weiße Narzissen, Knabenkraut, Ginster, wunderschöne Blumenwiesen! Ein Pferd steht auf einer einsamen Koppel am Stacheldrahtzaun und lässt genüsslich mit sich schmusen — herrlicher Schimmel mit seidenweichem Maul und einem Atem, der nach Heu riecht. Es ist eine Lust! Es geht immer leicht aufwärts, das mögen meine Füße und der Schienbeinmuskel schmerzt kaum noch. Wir laufen auf „le grand Caravan“ auf: ganze Wandergruppen, die wir eine um die andere überholen. Wir kommen nach La Clauze — von der alten Templerburg mit dem Hospiz stehen nur noch ein paar Grundmauern und der alte Donjon auf dem mächtigen Monolithen — Standardmotiv zum Photographieren — Esther schießt das Bild von mir.
Doch auch die Granithäuser aus neuerer Zeit beeindrucken mich — wie für die Ewigkeit gebaut! Wie schnell sich die bodenständige Architektur ändert, wenn man das Land durchwandert — und wie seelenlos und steril die modernen Standardkästen dagegen aussehen! In Le Falzet haben wir dann alle Wanderer hinter uns — und da ist auch der Hund wieder. Die ersten Mittagsrastier sitzen am Weg und „le chien pèlerin“, der uns mehr als zehn Kilometer gefolgt ist, geht auf Betteltour. Wahrscheinlich kehrt er am Nachmittag zurück nach Hause und macht sich morgen früh wieder auf den Weg.
Bei Contaldes trennen sich Esthers und meine Wege — sie hat Quartier in Chanaleilles gebucht, das von der anderen Seite des Tales herübergrüßt. Kurz bin ich versucht, mich ihr anzuschließen — sie war eine angenehme Weggefährtin. Doch ich möchte und muss heute noch weiter! Schließlich ist es gerade mal 14.00 Uhr!
Im nächsten Weiler rastet in einem großen Hof eine Gruppe Franzosen — eine Frau lädt mich ein zu Brot und Wurst. Ein paar nette Worte und ich ziehe weiter, während der krummschwänzige Hund sein zweites Mittagessen erbettelt. Ein paar hundert Schritte weiter lagern Wanderergrüppchen auf der Wiese und dann höre ich den Jubelschrei: „Christian!“ Marie-Thérèse sitzt da mit Eric und einem französischen Paar. Eric und sie hatten sich verlaufen und über eine Stunde verloren. Ich steige über den Drahtzaun zu ihnen, packe ein Stück Brot aus und trinke den letzten Tee von heute Morgen. Die vier wollen heute noch bis Saint-Alban, haben schon Quartier bestellt. Ich versuche, auch dort anzurufen, sitze aber im Funkloch. Der Franzose verspricht, mich nachzumelden.
Weiter geht’s. Ein weites Hochtal hinauf mit Ginster und Kiefern, mit teils wunderbar blühenden, teils aber auch überdüngten, langweilig grünen Wiesen. Dann bin ich an der Nationalstraße. Ich laufe auf dem Bankett und muss nur aufpassen, nicht immer wieder Splittsteinchen in meine Sandalen zu schaufeln. Ich bleibe auf der Straße bis zum Col de Hospitalet — ein Pass mit immerhin 1304 Metern. Schön warm ist es, und ich kühle meine Füße an der angeblich fußheilenden Rochusquelle, dann geht es weiter zu der sehr schönen Kapelle neben der Straße.
Der Weg verlässt die Straße — es geht in eingezäunte Viehweiden, auf Steinplatten über einen Bach, wieder ein Stück hoch — und dann kommt erst ein Dorf mit langersehntem Trinkwasserbrunnen. Nach der nächsten Höhenrippe geht es endlos hinab nach Saint-Alban. Das Frankfurter Ehepaar aus Saint-Privat ist plötzlich mit mir und gemeinsam finden wir das Hotel Central, in dem sich die Gîte befindet. Und wer sitzt vor dem Haus? Jacques und Elisabeth. Vor 20 Minuten eingelaufen. Eine Viertelstunde
Weitere Kostenlose Bücher