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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Wittenberg
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hektargroßen Weiden, Rinder, blühende Wiesen: Steinbrech, Küchenschellen, Hahnenfuß, wilde weiße Narzissen, wilde Möhre, Frauenschuh, Knabenkraut. Der Frühling ist ausgebrochen, hier in über tausend Metern Höhe. Grün-graues Land, so wie ich mir Irland vorstelle. Endlose Ausblicke, rau, doch zum Verlieben. Ich helfe einer älteren Französin über einem Weidezaunüberstieg: Sie trägt einen großen Strauß Küchenschellen — bei uns sind die fast schon am Aussterben und streng geschützt! Kurz vor Finieyrols eine Rinderherde — glückliche Familie: Ein Dutzend Kühe, einige davon mit Kälbern, und ein beeindruckender Bulle, eindeutig der Herr der ganzen Weide.
    Einige Minuten später die Gîte: ein alter Bauernhof, daneben, jenseits einer Wiese, über der fröhlich Wandererwäsche an der Leine flattert, das Gebäude der Herberge. Man hat Platz für mich und ich finde im Schlafsaal ein Bett, das mir zusagt. Duschen, Wäsche waschen — langsam werde ich mit den Anderen bekannt: eine Österreicherin, das kanadische Ehepaar, das ich vorgestern auf der Rast kennengelernt habe, die beiden Pfälzer (die mit der Schafherde), die heute früh vom Campingplatz gekommen sind. Zum Abendessen gibt es reichlich: Aligot, eine hiesige Spezialität — Kartoffelbrei mit Käse untergezogen, schwer aber köstlich! — dazu eine phantastische Bauernwurst. Ich bin sehr müde und um viertel nach neun liege ich im Bett.

Freitag, 10. Juni 2005
Finieyrols – Saint-Chély-d’Aubrac 29 km

    Ich habe schlecht geschlafen — von zwei bis drei Uhr war ich wach: Laute Schläfer! Doch um viertel vor sechs bin ich auf — es ist ohnehin schon alles auf den Beinen. Ich mache mir einen heißen Tee in die Flasche und unterhalte mich dabei mit dem Kanadier, der für seine Janet Frühstück macht: „A watched kettle never boils!“ Doch die Pfannkuchen, die er bäckt, riechen so verlockend, dass ich lieber flüchte. Frühstück im Haupthaus, ich habe schon gepackt und starte von hier aus. Doch als ich gerade mal hundert Meter gegangen bin fühle ich: Meine „Notre Dame de Le Puy“ ist weg — nur noch die Muschel hängt mir an der aufgegangenen Schnur am Hals! Zurück, eigentlich mit wenig Hoffnung: Wie in der ganzen Herberge das gerade mal centgroße Metallplättchen wieder finden? Eine Ahnung führt mich in die Küche und da blinkt es mir auch schon aus dem Teppich vor der Spüle entgegen: Sie wollte doch mit!
    Inzwischen ist alles abmarschiert. Ich studiere noch den Gedenkstein für Louis Dalle: Priester und Menschenfreund, der Buchenwald überlebt und lange bei den Indios in den Anden gelebt hat. Durch den Ort, ein paar leichte Steigungen, im Gehen das freitagmorgendliche Gespräch mit Silvia — das macht Mut! Bald habe ich einige Franzosen überholt, dann die Pfälzer und im nächsten Ort, den ich flott erreiche, treffe ich die Kanadier, die sich gegenseitig vor dem Hufbeschlagstand fotografieren. Auch mich nehmen sie mit meiner Kamera auf. Gemeinsam ziehen wir weiter. André ist Geologe und erklärt mir, dass der ganze Gebirgszug vulkanisch angehoben wurde, das Magma den Granitdeckel aber nicht durchbrochen hat — nur der Kegel dort drüben ist ein alter Vulkan.
    Mir fällt auf, dass mein Gürtel, der vor fünf Wochen gerade mal zuging, jetzt eine Handbreit über die Schließe hinausgeht und auch dafür hat André eine Erklärung: Wandern verbrennt viel mehr Fett als Sprinten oder Joggen, dafür braucht man schnell verfügbare Kalorien, während die stetige Dauerleistung eher auf die Fettdepots zurückgreift.
    Ich laufe den beiden zu schnell, vor allem Janet, und so lassen sie mich ziehen. Die Landschaft ist und bleibt großartig! Nasbinals: Die Kirche — herrlich! Erst beten, dann schauen.
    Jetzt scheint es zum Col d’Aubrac hochzugehen — das Passstraßenschild zeigt eine Höhe von 1368 Metern — doch der Weg biegt von der Straße ab, erst durch Wald und dann wieder über weite Weideflächen, vorbei an glücklichen Rinderfamilien. Weit schweift der Blick über die wellige Hochfläche. Ein Hochtal will überquert werden — gegenüber lockt ein großes Hotel — Luxus wäre wohl schön — doch ich kühle nur meine Füße und das schmerzende Schienbein an einem Brunnen und steige leicht hoch nach Aubrac. Da komme ich an dem Aussichtsrestaurant nicht vorbei, wo ich den Akku meines Handys auflade und schwelge: Toast mit köstlichem Aubrac-Rindfleisch, ein einheimischer Kräutertee und hinterher ein Kaffee. Dann noch in die

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