Lenke meine Fuesse Herr
Pression. Es ist viertel nach sieben, Peter hat mir gerade eben den Schlüssel vorbeigebracht — ich bin müde.
Dienstag, 7. Juni 2005
Saint-Privat-d’Allier – Saugues 22 km
Obwohl ich schon um sechs Uhr wach bin — ich hatte sehr geschwitzt und war von drei bis vier Uhr wach (es regnete), komme ich doch erst gegen viertel nach sieben weg. Ich habe Peter noch einen Tee spendiert — er hat gestern noch einen Anruf von seiner Frau gekriegt: „Schau, dass du endlich heimkommst!“, zitiert er sie lächelnd, und er geht heute nach Le Puy und nimmt dann die Bahn. Wir verabschieden uns herzlich.
Nun geht es immer bergauf, von 890 auf 960 Meter. Nebel, Wind, blühender Ginster, Kühe mit Glocken wie im Allgäu. Ich komme nach Ro-chegude: Hier soll man einen herrlichen Blick über das Tal der Allier haben, ein alter Turm sei der Überrest einer Burg, schreibt der Führer. Aber von all dem ist nichts zu sehen: Der Nebel verbirgt alles, was weiter weg ist als zehn, zwölf Meter.
Jetzt geht es halsbrecherisch abwärts, über Steinplatten und Wurzeln — fast senkrecht! Gott sei Dank ist es nicht richtig nass — das gäbe eine knöchelbrechende Rutschpartie! Ich komme hinab auf die Straße zum Weiler Pratclaux, ein Stück vor mir wandert ein Paar mittleren Alters, zwischen uns schwänzelt ein wunderschöner Schäferhund auf mich zu. Ich begrüße ihn freundlich: „Na, du? Willst du mich ein bisschen begleiten?“ Doch er lässt sich nur kurz streicheln und trottet dann weiter den Weg entlang. Kurz darauf hole ich das Paar ein und werde mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ begrüßt. Da bin ich doch überrascht: Sieht man mir den Deutschen so an? „Nein, aber Sie haben mit dem Hund deutsch gesprochen, und da wussten wir, dass das ein Landsmann ist!“ Irgendwie kommen wir uns bekannt vor — wir haben uns wohl gestern unterwegs schon gesehen. Der Weg ist zwar nicht gerade überlaufen, doch wenn man etwas schneller geht, so wie ich, überholt man doch immer wieder Einzelwanderer oder Gruppen oder man trifft sich bei einer Rast. Die beiden gehen mir ein bisschen zu langsam und so ziehe ich davon.
Ein paar hundert Meter vor Monistrol-d’Allier fängt es an zu nieseln: Noch kein Poncho-Wetter, aber Rucksacküberzug und Schirm sind schon nötig. Als ich am Ortseingang ankomme, fängt es richtig an zu regnen. Nur gut, das ich die Felskletterei weiter oben schon hinter mir habe! Unter einem überhängenden Felsen sattle ich ab und ziehe den Poncho über — doch als ich zurücktrete auf die Strasse, ist der Regenguss vorbei. Hier kann man angeblich gut im Fluss baden — dafür habe ich heute keine Ader, genauso, wie ich die Kirche links liegen lasse. Über die Brücke im Ort — mir kommt der Gedanke, dass die kühne Eisenbahnbrücke flussaufwärts ein ideales Ziel für die Resistance im letzten Krieg gewesen sein muss — und dann stehe ich vor einer Bäckerei. Ich kann mich in dem engen Laden kaum umdrehen mit dem ausladenden Rucksack auf dem Rücken, doch die Verkäuferin, die mir zwei Croissants und ein Baguette verkauft, ist so nett und verstaut alles in einem Plastikbeutel unter dem blauen Regenüberzug.
Hinaus aus dem Ort: Steil geht es aufwärts. Dort, wo die Straße eine Kehre macht, vor beeindruckenden Basaltorgeln, ein Steinkreuz und eine Ruhebank. Ich mache Pause, verdrücke eine Tomate, die Croissants und eine Banane. Zwei Männer steigen an mir vorüber — an ihrer Unterhaltung ist zu hören: Deutsche. Ich bleibe noch ein paar Minuten sitzen, da kommen sie zurück: „Da kommt man nicht durch!“ Ich will schon fragen, was los ist, da sehe ich es: Eine Schafherde füllt die Straße aus, von der Felswand links bis zum Steilabfall rechts. Dicht aneinander gedrängt kommen sie uns entgegen, so dass es kaum ein Durchkommen gäbe, selbst wenn man wollte. Wir lassen die Herde an uns vorüberziehen und steigen dann weiter die Straße hoch, die jetzt mit schwarzen Kugeln übersät ist — gut, dass ich heute nicht die Sandalen trage!
Auf einem Geröllweg, den riech- und sichtbar auch die Schafe herabgekommen sind, hinauf zur Kapelle Sainte Madelaine, die in einen Felsüberhang im schwarzen Basalt hineingebaut ist. Die Deutschen laufen weiter, ich fotografiere, und da kommt auch schon die Karawane: die kurze, stämmige Französin, das deutsche Ehepaar, der Englisch sprechende Franzose, den ich gestern getroffen habe — eigentlich alle, mit denen ich seit Le Puy immer wieder zusammengekommen bin. Nach der
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