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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Wittenberg
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ich dann auf dem Weg. Erst einmal verlaufe ich mich — da ist ein unqualifiziertes rot-weißes Markierungszeichen, das mich irritiert. Doch dann bin ich richtig: Hier geht es nach Moissac, wenn auch nicht auf dem Jakobsweg, sondern einen Höhenzug weiter östlich. Weder die Karte noch der Augenschein zeigen einen Weg, der das Tal quert.
    Die Rosen blühen, die Aprikosen sind reif — ich brauche nur hochzufassen und habe ein halbes Dutzend in der Hosentasche. Ein Hotel mit einem lockenden Swimmingpool — es ist heiß geworden! Dann die Hauptstraße und ein endloser Marsch im Gestank und Lärm des dichten Verkehrs. Da kann der Lavendel, den ich mir an Hut und Rucksackgurte gesteckt habe, nicht gegenanduften!
    Endlich führt der Weg durch kleine Gassen, eine Nonne in weißem Habit spricht mit zwei uralten Damen, es geht am Krankenhaus vorbei und dann stehe ich vor der Kathedrale. Schon der Vorraum hinter dem Tympanon ist gewaltig und atmet doch Ruhe, dann die Kirche selbst, bunt ausgemalt, dennoch mit herrlicher Raumwirkung. Nur der Mechaniker stört, der der Lautsprecheranlage misstönendes Krächzen entlockt. Der uralte Sarkophag (VII. Jh.!), die „Flucht nach Ägypten“, die herrliche Pieta — welch wunderbare Kirche!
    Im Touristbüro finde ich den Eingang zum Kreuzgang, soll und darf meinen Rucksack draußen lassen, gehe durch die Tür und breche fast in Tränen aus: Mein Gott ist das schön! Lange kann ich mich nicht losreißen.

    Der Kreuzgang von Moissac

    Licht auf dem Rasen,
    Kühle im Geviert der Säulen,
    die in ruhigem Rhythmus
    sich abwechseln.
    Die Vielzahl,
    die Vielfalt der Kapelle –
    und doch Einheit.
    Stille, Harmonie,
    die Glocke, die die Stunde schlägt.
    Verweilen, innehalten, schauen.
    Den Atem spüren, der hier weht:
    Den Atem Gottes,
    der durch den Baumeister gewirkt hat,
    dies zu schaffen!
    Wirken lassen, still sein, denken.
    Kraft schöpfen für den weiteren Weg –
    Den Pilgerweg, den Lebensweg?
    Nie vergessen wollen,
    wie du diesen Ort betreten hast:

    Wieder draußen, überlege ich: ein Bier, weiterlaufen, Sportgeschäft, passende Hose kaufen? Und wo geht’s aus der Stadt raus? Da sprich mich von hinten jemand auf Deutsch an: „Suchen Sie etwas?“ Eine große, blonde Frau, offenes, kluges Gesicht. Ich suche den Jakobsweg — und sie ist auch unterwegs nach „Compostelle“! Da frage ich ganz spontan: „Sagen Sie bloß, Sie sind die Heidi!“ Sie ist es, Heidi aus Tübingen, deren Einträge in Kirchen- und Pilgerbüchern schon seit Wochen vor mir herlaufen, mal zwei Tage, dann wieder nur ein paar Stunden, dann wieder einen ganzen Tag. Sie macht hier einen Rasttag.
    Wir beschließen, gemeinsam eins trinken zu gehen, doch vorher muss sie auf die Post. Sie kommt heraus mit Peter, dem Wiener, den ich auch von seinen Pilgerbucheinträgen her kenne. Fast eine Stunde sitzen wir vor einem Café und philosophieren über den Jakobsweg. An Heidis Schlüsselbund entdecke ich einen „Türkenbund“, eine aus Schnur geflochtene Rosette: Die gleiche hat mir Gerhard geschenkt. Ja, auch sie ist drei Tage mit ihm gegangen. Heidi schreibt sich den Text aus dem Pilgerblatt ab, das mir Pfarrer Danner mitgegeben hat, ich schreibe ihr mein Pilgerlied auf und den Text, den ich eben über den Kreuzgang geschrieben habe. Fast bin ich versucht, mich den beiden anzuschließen und erst morgen weiterzugehen, so wohl fühle ich mich in ihrer Gesellschaft — doch dann raffe ich mich auf: Ich will und muss weiter!
    Ich finde den Garonne-Seitenkanal und beschließe, ihm zu folgen und nicht der Markierung, die sich oben über die Hügel schlängelt. Das Kanalwasser ist algengrün und dreckig, nur an den Schleusen ist eine sachte Strömung erkennbar. Bald bin ich aus der Stadt draußen. Hier werfen wunderbarerweise hohe Bäume Schatten auf den Damm, auf dem ich marschiere. Jetzt kommt von links die Garonne — ein mächtiges Becken, hier an der Einmündung des Tarn. Rechts der Kanal, links der lockende Fluss — da ist ein Trampelpfad durch den schmalen Uferwald, eine Bretterbude mit einem kleinen Steg davor — da hält mich nichts mehr: runterlaufen, absatteln, ausziehen — hinein!
    Das tut gut, auch wenn die Füße Schlammwolken aufwirbeln. Aber ich muss das Flusswasser ja nicht trinken! Ich schwimme ausgiebig und dann setzte ich mich splitterfasernackt auf die Bank vor der Hütte und lasse mich von der Sonne trocknen. Gerade will ich noch mal ins Wasser, da höre ich vom Kanal her eine helle Stimme, die sich

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