Lenke meine Fuesse Herr
ärgert ist, dass der Franzose so mit seinen Marschleistungen angibt — die rund 45 Kilometer heute seien ein schwacher Tag gewesen, normalerweise gingen er und seine Begleiterinnen viel weiter. Nur: Der völlig erschöpfte Eindruck, den die drei bei ihrer Ankunft gemacht haben und die Gesichter seiner Damen bei seinen Worten strafen ihn Lügen. Die Marathonstrecke heute fordert ihren Tribut: Gegen zehn Uhr falle ich in mein Bett und schlafe wie ein Murmeltier.
Dienstag, 21. Juni 2005
Montlauzun – La Barrale 24 km
Christoffer und Eileen haben etwas zu lange geschlafen und so gibt es erst um halb sieben Frühstück. Die Franzosen wollen heute bis Boudou hinter Moissac — über 40 Kilometer, und das halte ich für übertrieben: Ich selbst möchte mir für Moissac Zeit nehmen: Der Kreuzgang und die Kathedrale sind ein Höhepunkt der Via podensis.
Runter ins Tal, auf der anderen Seite einen steilen lehmigen Hohlweg hinauf — Gott sei Dank ist es trocken, das gäbe ein elendes Geschmiere, die Stiefel wären oben sicher zweimal so groß vor Dreck und ohne das dicke Seil, das man als Aufstiegshilfe gespannt hat, käme man wohl kaum da hinauf.
Um halb neun bin ich in Lauzerte: ein wunderhübsches Dorf oben auf dem Hügel, viele Häuser liebevoll restauriert. Ich trinke einen Kaffee, kaufe ein, genieße die Aussicht, sehe mich ein bisschen im Ort um und als ich mich wieder auf den Weg mache, ist eine ganze Stunde vergangen. Es wird entsetzlich warm und schwül. Jetzt geht es erstmal vom Dorfhügel hinab und dann — natürlich — steil wieder hinauf. Ich bin froh, mich in die Kapelle von Saint-Sernin flüchten zu können, nachdem ich das schöne Taubenhaus von Le Charton bewundert habe.
Wieder bergab, steil, ein Stück glühheißer Teerstraße, dann wieder den Berg hoch und jenseits ins Tal. Der Bach lädt zur Mittagsrast: Es ist fast ein Uhr! Ich rechne nach: Bis Moissac brauche ich mindestens noch vier Stunden — da sind Kirchen und Kreuzgang geschlossen. Also: Vor Moissac übernachten, morgen früh dorthin, alles ansehen und dann die Variante den Kanal entlang. Jetzt lasse ich mir wirklich Zeit. In Durfort-Lacapelette setze ich mich ins „Relais St. Jacques“, trinke 3(!) Pression und suche mir im „miam-miam-dodo“ die Gîte rurale in La Barrale aus. Der Wirt ruft für mich an und gegen halb drei bin ich auf dem urigen Bauernhof.
Ich habe die Gîte für mich alleine, dusche, wasche Wäsche, setze mich in der Badehose auf die schattige Terrasse, schreibe Tagebuch und lese in den Büchern, die ich im Regal gefunden habe. Besonders interessant: Ein Buch zum x-ten Jubiläum des Credit Agricole, in dem die Entwicklung der Landwirtschaft in Frankreich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit vielen Bildern und viel Zahlenmaterial beschrieben wird. Doch auch das Schulgeschichtsbuch zeigt mir, wie verschieden die geschichtlichen Entwicklungen in den beiden „Bruderländern“ Frankreich und Deutschland gesehen werden. Der halbe Ruhetag tut gut! Ich glaube auch, dass mein Körper ihn gebraucht hat — meine Trekkinghose ist ein gutes Stück zu weit geworden und gestern hat Christoffers Badezimmerwaage behauptet, ich wöge noch 84 kg — ganz nett nach den 106, die ich am Abend des 2. Mai gewogen habe!
So habe ich auch keine Skrupel, kräftig bei dem wunderbaren Abendessen zuzulangen, das die Altbäuerin mir und ihrem Mann vorsetzt. Dazu gibt’s Wein und angeregte Unterhaltung mit den beiden Herrschaften. Wir sprechen über Dialekte, denn mir fällt wieder einmal auf, wie viel härter die Aussprache der Menschen hier ist als zum Beispiel in Savoyen oder Paris. Manche Worte klingen mir eher Spanisch! Der Altbauer stimmt mir zu. Der Einfluss des Okzitan ist sehr stark — und Spanien ist ja auch nicht mehr weit. Übrigens meint er: „Im Baskenland solltest du Französisch sprechen! Dann lieben dich die Leute! Aber wenn du Spanisch sprichst, sind sie höchstens höflich!“ Ich freue und wundere mich, wieviel ich verstehe und spreche — ob es mir in Spanien mit der Sprache auch so gehen wird?
Inzwischen ist ein prächtiges Gewitter aufgezogen, ich komme gerade noch trocken vom Wohnhaus in die Gîte — da bringt mir durch den strömenden Regen die Wirtin noch Kaffee, Brot, Butter und Marmelade für mein Frühstück. Um halb elf schlafe ich.
Mittwoch, 22. Juli 2005
La Barrale – Bardiques 40 km
Ich habe verschlafen und komme erst um 5.45 Uhr aus dem Schlafsack. Frühstück machen, packen, um halb sieben bin
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