Lenke meine Fuesse Herr
Tagebuch, dann geht es weiter nach Ostabat. Im Führer habe ich gelesen, dass ich auf der anderen Strecke an dem „Stein von Gibraltar“ vorbeigekommen wäre, an dem sich die Jakobswege vereinen. Ich überlege, zurückzulaufen, aber dann lass ich es sein. Gegen eins bin ich in Ostabat — zum Bleiben zu früh. Zusammen mit einem jungen belgischen Pärchen mache ich vor der Épicerie-Bistro Mittagspause. Eine ältere Dame aus Tübingen sucht das Chambre d’hôtes — gemeinsam finden wir es. Weiter: Larcevau. War ein Katzensprung, knappes Stündchen. Einfach noch zu früh! Ich bin gut in Form und laufe schnell. Also weiter nach Saint-Jean-le-vieux!
Es ist kaum jemand auf dem Weg. Nun wird es schon recht hügelig. Vor mir die Bergkette: Da geht es morgen oder übermorgen drüber. Plötzlich fällt ein Riesenschatten über mich: Geier! Über dem Tal kreisen sie, mehr als ein Dutzend bestimmt! Einer landet auf dem Feld neben mir, 20, 25 Meter weit weg, und streicht nach einigen Augenblicken wieder ab.
Ich hole einen alten Herrn ein, der mühsam sein Fahrrad den Berg hinauf schiebt. Er kommt aus Kanada, ist über achtzig, und will in kleinen 20-Kilometer-Etappen nach Santiago. Hut ab!
Der Weg führt nun abseits der großen Straße über kleinere Sträßchen, auch mal ein Feldweg oder Trampelpfad — auf einem hat sich so ein menschliches Ferkel mitten auf dem Weg verewigt. Dann komme ich nach Bussunarits. Vor seinem Haus wäscht einer sein Auto; während ich noch um Wasser bitte, kommt seine Frau und füllt mir die Flaschen, dazu gibt es noch einen großen Becher herrlich kühles Eau mineral. Ein paar Meter weiter ein originelles Verkehrsschild: Achtung Pilger und andere Rindviecher!
Endlich Saint-Jean-le-vieux! Hier soll man einkaufen können. War wohl nichts. In einem Bistro erklärt man mir, der nächste Laden sei in Saint-Jean-Pied-de-Port, der Supermarkt am Ortseingang, drei Kilometer die Landstraße hinunter! Ich trinke zwei große Pression und starte die Chaussee entlang. Im Supermarkt treffe ich das Ehepaar wieder, das mir das Wasser geschenkt hatte. Ich kaufe Brot, Pâte, ein Gummiband, das ich mir oben auf den Rucksack nähen möchte, anstelle der umständlichen Spannriemen, ein Heft zum Tagebuchschreiben, Duschgel. Nun in die Stadt: Ich komme an die Stadtmauer, eine Treppe führt hinauf und so komme ich gleich in die Hauptstraße der Altstadt.
Jetzt bin ich doch schon sehr erschöpft, und das sieht mir die nette Dame im Accueil de Pèlerins auch an: Sie bewirtet mich mit Mineralwasser und fragt, ob ich ein Zimmer möchte, noch ehe sie mir meinen Pilgerpass abstempelt. Eigentlich wollte ich ja weiter, entweder in der Ferme Ithurburia oder im Freien schlafen, doch jetzt habe ich keine Energie mehr, will nur noch duschen und essen, und lasse mich in ein Zimmer gleich drei Häuser weiter vermitteln. Die Vermieterin zeigt mir ein herrlich altmodisches Zimmer mit einem Riesenbett und der Dusche auf dem Balkon — eine liebe Frau, die mir erst einmal ein Radler kredenzt. Ich mache mich frisch, wasche Wäsche und dann meldet sich der Hunger und ich mache mich auf die Suche nach einem Restaurant.
Doch zuallererst geht’s noch mal ins Pilgerbüro, wo mich die freundliche Elisabeth aus Deutschland mit Streckenplan, Herbergsverzeichnis und vielen guten Ratschlägen für den spanischen Jakobsweg versorgt. Ich versuche vergeblich, telefonisch Falkenbergs zu erreichen — wollten die nicht heute auch hier sein? Hoch zur Zitadelle — aber ich bin nicht mehr aufnahmefähig — runter in die Stadt — sagt mir nicht viel: viele Gîtes und Chambre d’hötes, Restaurants, Andenkenläden — Touri-Rummel eben. Ich finde ein Restaurant mit einem stillen kleinen Innenhof und hier vertilge ich einen großen Salat und ein Rieseneis, trinke eine ganze Flasche Rotwein und wanke in mein Quartier.
Madame ruft mich zu sich in den Garten, setzt mir ein Glas Mineralwasser vor und wir schwatzen noch ein bisschen. Zwei Schwedinnen sind im anderen Zimmer und eine Deutsche. Gerade will ich ins Bett gehen — der Tag und der Wein zeigen Wirkung — da kommt sie: Angelika aus Hamburg, heute angereist, will von hier aus nach Santiago. Wir beschließen, morgen gemeinsam über den Pass zu gehen.
Gedanken unterwegs:
Wandern versus Pilgern
Da ist der Pilger, der ganz bewusst eine Stätte besucht, die als heilig oder heilbringend gilt. Ihm geht es um den Ort — ein Flugreisender ist in diesem Sinne ebenso ein Pilger wie ein Fußgänger.
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