Lenke meine Fuesse Herr
2005
Saint-Jean-Pied-de-Port ¨Roncesvalles 28 km
Ich hatte mit Angelika verabredet, dass wir uns um halb sieben zum Frühstück treffen und spätestens um sieben losgehen wollten, doch sie erscheint erst um kurz nach sieben. Sie brauche morgens immer etwas länger, meint sie. Um halb acht können wir endlich los.
Es geht die Straße hinab, durch die Porte Notre Dame mit dem Pilgerstandbild, über die Brücke und dann zum Ort hinaus — und nun steil den Berg hoch. Die Sonne ist noch nicht ganz draußen — eine unwirkliche Morgenstimmung. Doch dann fängt es an, heiß zu werden und oberhalb der Ferme Ithurburia sind wir froh, dass es dort eine Wasserstelle gibt. Ich muss an Paolo Coelho denken, der an diesem Brunnen einem Dämon begegnet sein will — hier gibt es keine Dämonen, nur verschwitzte, durstige Wanderer, die ungeduldig darauf warten, dass der Vordermann seine Wasserflasche gefüllt, sein Gesicht gewaschen und getrunken hat.
Weiter, ich gehe langsam, fast so langsam wie bei den Steigungen damals in der Schweiz, aber Angelika ist noch langsamer. Naja, erster Tag. Es geht stetig aufwärts — Saint-Jean-Pied-de-Port liegt auf 200 Metern Meereshöhe, der Cisapass, über den der Fußweg führt, ist 1460 Meter hoch. Bei der Madonna de Bianorre machen wir kurz Pause, die nächste am Kreuz von Cairn — das sieht fast aus wie in Tibet mit den vielen Tüchern und sonstigem Zeug, das man über die Absperrungen gehängt hat. Geier kreisen über uns — als eine rundliche junge Amerikanerin den Berg hochkeucht, mache ich sie darauf aufmerksam. Sie wirft einen kurzen Blick nach oben: „Oh yes! They are waiting for me!“, und stapft tapfer weiter. Pferdeweiden, Schafe — die Landschaft ist eher albmäßig als alpin, obwohl wir jetzt schon weit über tausend Meter hoch sind und die Berge ringsum die Zweitausendermarke erreichen. Der Weg ist durchgehend geteert, sogar Autos fahren hier oben. Einige Schritte abseits eine Schutzhütte — ich kann mir vorstellen, dass man da gerne Zuflucht sucht, wenn das Wetter nicht so strahlend schön ist wie gerade eben.
Ein kilometerlanger Stacheldrahtzaun, ein umlagerter Brunnen — schön angelegt und gefasst — wir haben den Pass überschritten und jetzt sind wir in Spanien. Der Weg ist gut ausgebaut, es geht durch einen Eichenhain und dann sieht man hinab auf den Ibañetapass mit der Autostraße und der modernen Kapelle. Vor dem direkten Abstieg nach Roncesvalles hat man gewarnt, der sei schlecht begehbar, und so nehmen wir den Abstieg über blühende Bergwiesen hinab zum Straßenpass. Wir machen Picknick an der seitlichen Kapellenmauer, setzen uns dort auf den Rasen und ich lege meinen Rucksack unwissentlich auf ein Mauseloch. Als ich ihn wegnehme, um etwas auszupacken, guckt mich Frau Maus aus ihrem Loch ganz vorwurfsvoll an: Frechheit, so meine Haustüre zu blockieren! Minutenlang bleibt sie so am Eingang sitzen und schnuppert, doch als ich meine Kamera zücke, verschwindet sie. Kaum habe ich den Foto weggelegt, schaut sie wieder raus, um sich zurückzuziehen, sobald ich ihn wieder zur Hand nehme. Eindeutig fotoscheu!
Die Straße entlang nach Roncesvalles. Die Jugendherberge im alten Kloster scheint eine Kaserne zu sein, auch die Herberge daneben — Angelika ist ganz entsetzt, als ich ihr klarmache, dass es in diesen Herbergen keine Geschlechtertrennung gibt. „Ich habe gedacht im katholischen Spanien! Da bringen mich keine zehn Pferde rein!“ Lieber schläft sie heute draußen — da kann und will ich sie nicht alleine lassen und so beschließen wir, hinter Roncesvalles ein Plätzchen im „Tausend-Sterne-Hotel“ zu buchen. Doch erst einmal den Ort besichtigt. Die Kirche ist eindrucksvoll — mich ergreift besonders die Jakobusstatue — ansonsten ist sie eher schlicht, ich empfinde sie mehr als französisch denn als spanisch.
Das Rolandsdenkmal ist für mich Anlass, Angelika von der Rolandssage zu erzählen, die sie nicht kennt — der geschichtliche Hintergrund ist, dass in diesem Tal die Nachhut Karls des Großen unter dem Marschall Roland niedergemacht wurde, als er von seinem ergebnislosen Spanienfeldzug zurück nach Franken marschierte. Karl und Roland sind hier in Nordspanien ebenso Nationalhelden wie in Frankreich und Deutschland. Wir finden uns im einzigen Restaurant wieder, wo wir mit einer amerikanischen Pilgerin ins Gespräch kommen und mit zwei Belgiern: Der eine läuft und der andere begleitet ihn mit dem Wohnmobil.
Wir brechen auf, es
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