Lenke meine Fuesse Herr
dämmert langsam und der Himmel bewölkt sich. Als wir an einer weiteren Herberge vorbeikommen, fällt unser Blick auf die langen Reihen dreistöckiger Betten und so fällt es uns leicht, der Einladung der holländischen Hostaleros nicht zu folgen. Wir marschieren aus dem Ort hinaus, am Rolandskreuz vorbei, durch schönen Wald und ich schlage einige Plätze vor, geschützt unter Tannen, doch Angelika möchte unbedingt nichts zwischen sich und den Sternen haben. Endlich finde ich einen Lagerplatz, der ihr zusagt: vom Weg aus nicht einsehbar, in der Trasse der Stromleitung, hinter Gebüsch verborgen. Wir breiten unsere Isomatten aus — Angelika achtet peinlich darauf, dass die Rucksäcke zwischen uns liegen — mein Gott, hat die Angst, ich komme in der Nacht zu ihr herübergerutscht? Ich schlüpfe mit meinem Schlafsack in den Bivibag und als wir einschlafen wollen, wird die Luft sehr feucht: Es fängt an, ganz fein und sanft zu nieseln, eher Nebel als Regen. Ich decke Angelika mit unseren beiden Ponchos zu, ziehe das Cover über meinen Rucksack und schlafe recht gut — ein-, zweimal geweckt von Angelikas Schnarchen und weil ich den Kopf zu weit aus dem Bivibag gesteckt und ein nasses Gesicht gekriegt habe.
Montag. 4. Juli 2005
Roncesvalles - Zubiri
Stimmen von Wanderern, die schon auf dem Weg sind, wecken mich. Bei mir ist eigentlich alles trocken geblieben, bis auf ein Eckchen des Schlafsacks, das aus dem Bivibag gerutscht war. Ich wecke Angelika — auch ihr Schlafsack ist etwas feucht, doch die Ponchos haben sie gut abgedeckt. Katzenwäsche aus der Trinkflasche, ein Schluck Wasser, packen. Es nieselt noch, hört aber bald auf, nachdem wir uns gegen sieben auf den Weg gemacht haben. Bis Burguete: Da kehren wir erst einmal in dem Gasthaus neben der (natürlich geschlossenen) Kirche ein, besuchen die Sanitäranlagen und frühstücken ausgiebig.
Ich finde, Angelika hat viel zu viel Gepäck — der Rucksack mit Außenlasten scheint sie zu erdrücken — und mir kommt er schwerer vor als meiner. Doch sie sagt, das sei das Päckchen, das sie zu tragen habe — sozusagen symbolisch. Wir sprechen unterm Gehen über Religion, Konfessionen, Rechtfertigung, Sündenvergebung, und immer mehr habe ich das Gefühl, dass sie wirklich ein Päckchen mit sich rumschleppt, das noch größer ist als ihr Rucksack. Ich habe aber auch den Eindruck, dass sie im Grunde ihres Herzens dies Päckchen gar nicht loshaben will. Bei den intensiven Gesprächen mit Angelika merke ich gar nicht, wie langsam wir gehen — nur, dass man uns immer wieder überholt. Der Weg ist ausgebaut wie ein Promenadenweg im Park, unmissverständlich markiert — hier kann man sich nicht verlaufen. Wir sind im Baskenland mit seiner eigenen Architektur — die Häuser sind monumental, mit gewaltigen Eckquadern und mächtigen steinernen Türstürzen — wie kleine Burgen!
Es geht durch Wald und Gebüsch, die Luft ist angenehm, kein Regen, aber der Himmel ist bedeckt. Schönes Laufen, doch eben langsam. In Viscarret kommen wir ebenfalls nicht in die Kirche, da laufen wir eben durch und machen auf dem Erropass kurz vor dem Paso di Roldán (Steinplatten, die die Schrittlänge des Helden Roland bezeichnen — ca. 2,50 m) Picknick. Angelika bezeichnet mich als ihren Cherub: Ich stehe, auf die Stöcke wie auf ein Schwert gestützt, Wache, während sie hinter der Hecke für kleine Königstiger geht.
Wir kommen an einem halb verfallenen Bauernhof vorbei und ich meine: „Das wäre ein richtiger Platz für ein Refugio!“ Der Wanderführer sagt uns, dass dies im Mittelalter eine Pilgerherberge war, die „Venta del puerto“.
Gegen halb vier sind wir in Zubiri. Der Camino bleibt auf dieser Seite des Flusses, doch wir gehen in die Stadt, wollen hier einkaufen und vielleicht auch übernachten. Nachdem das Refugio nicht allzu groß ist, wir Sachen trocknen müssen und Angelika auch recht müde ist, habe ich keine Schwierigkeiten, sie zum Bleiben zu überreden. Die Sonne kommt heraus, wir können Wäsche waschen und auch unsere Schlafsäcke in einem Baum zum Trocknen aufhängen, ehe ich in die Stadt zum Einkaufen gehe. Langsam füllt sich die Herberge, wir kommen mit einer älteren Amerikanerin ins Gespräch und mit einer Italienerin mit dem sehr italienischen Namen Erika: Mit ihr gemeinsam gehen wir dann auch essen. Sie ist gestern etwa drei Stunden nach uns in Saint-Jean-Pied-de-Port aufgebrochen und auf dem Pass in Regensturm mit Graupel und Schneeflocken gekommen! Gegen
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