Lenke meine Fuesse Herr
zehn Uhr liege ich dann todmüde im Bett, kann allerdings lange nicht einschlafen, da draußen vor dem Fenster eine Spanierin in voller Lautstärke telefoniert und innen im Schlafsaal ein vielstimmiges Schnarchkonzert anhebt. Wb ist nur mein Ohropax?
Dienstag, 5. Juli 2005
Zubiri – Cizur Menor 29 km
Gestern Abend habe ich Angelika vorgeschlagen, sich zu überlegen, ob sie mit mir heute eine relativ lange Etappe gehen will — mindestens bis Pamplona. Dann müsse sie aber um halb sieben marschbereit sein! Tatsächlich: Als ich aufbrechen will, ist sie fertig. Wir ziehen uns aus dem Automaten noch einen Kaffee und ein Muffin und marschieren los. Zurück über den Fluss, entlang der endlosen hässlichen Halden der Magnesitfabrik. Über dem Tal kreisen, wie um Abschied zu nehmen, noch ein paar Geier. An kleinen Dörfern vorbei, dann über die Brücke hinein nach Larrasoaña. Wir folgen dem Zug der Pilger und landen im Hof einer „bar“ — das sind in Spanien einfach Kneipen, in denen man eine Kleinigkeit essen und trinken kann. Wir lassen uns im Hof nieder, um unsere Füße wuseln Hühner und hoffen, dass uns was vom Tisch fällt. „Desayuno“: Orangensaft, ein Café con leche, ein Sandwich mit Schinken — das muss bis Mittag Vorhalten. Schon blüht im Lokal der Handel mit Anstecknadeln, Stöcken und Jakobsmuscheln. Weiter: Die Wegbeschreibungen in den Karten aus meinem wunderschönen großen Pilgerführer stimmen hinten und vorne nicht mehr: Im letzten Jahr hat man viel getan, neu markiert, Wege ausgebaut, teilweise — gut gemeint — gepflastert. Im Vergleich zu den meisten Wegen in der Schweiz und in Frankreich ist dies hier eine Autobahn! Es geht durch Wälder, bergauf, bergab. Angelika geht jetzt sehr langsam, immer wieder muss ich stehen bleiben und auf sie warten — sie quittiert zwar mein aufmunterndes Grinsen mit einem herzerfreuenden Lächeln, aber es wird mir immer klarer, dass ich heute den letzten Tag mit ihr gehe: Ich muss schneller machen, das Schleichen macht mich kaputt! Gestern Abend in der Herberge hat sie anhand der Streckenbeschreibung und des Herbergsverzeichnisses, das wir in Saint-Jean bekommen haben, ihre Tagesetappen festgelegt — ich habe die meinen auch grob eingetragen und komme auf fünf Marsch tage weniger!
Endlich, gegen halb vier, sind wir in Pamplona. Kurz vor der Stadt treffen wir die Belgier mit dem Wohnwagen wieder — mich tröstet, dass die nicht viel schneller waren als wir. Durch die Vorstädte kommen wir in einen Park, gehen über die Magdalenenbrücke und steigen die Auffahrt zum „Portal de Zumaracárregui“ hoch. Beeindruckend, dieses Vorwerk, die Befestigung mit Schießscharten für Artillerie und Handfeuerwaffen — hohe Festungsbaukunst des Spätmittelalters!
Nachdem die Kathedrale erst in einer Stunde aufmacht, gehen wir in einer schrecklichen Pinte ein Bier trinken. Überall Menschen mit roten Halstüchern, eine junge Frau drückt mir ein Flugblatt gegen Stierkämpfe in die Hand — die Stadt ist außer Rand und Band: Morgen beginnt die Fiesta! Zurück zur Kathedrale — von vorne langweilig klassizistisch, doch innen! Die Kathedrale eines Königreichs, nennt sie der Führer, den ich mir leiste, und so wirkt sie auch auf mich. Ich kann mich kaum vom Grab Carlos’ III. und seiner Leonora Trastamara losreißen, und zu ihren Füßen finde ich auf der Grabplatte den Namen „Anna de Cleve“: Geschichte pur! Kreuzgang, Seitenkapellen — wäre morgen nicht die Fiesta und sähe ich eine winzige Chance, hier in Pamplona ein Quartier zu bekommen, würde ich bleiben und morgen noch mal hergehen! So bleibt mir nur eines: der Vorsatz, hierher zurückzukehren, mit Silvia, und mit ihr gemeinsam diese Schätze in Ruhe zu genießen.
Wir müssen weiter! Am Rathaus vorbei — auf dem Platz ist kaum ein Durchkommen — in eine Geschäftsstraße, die Calle Mayor — da ist ein kleines Sportgeschäft: Vielleicht haben die Gummistopfen für meine Stöcke? Die passende Größe haben sie nicht; alles, was die Señora hat, ist zu weit, doch sie weiß Rat: Sie umwickelt die Spitzen meiner Stöcke mit Isolierband, verkehrt herum, die Klebeseite nach außen, steckt dann ein Paar Stopfen drauf — halten und lassen sich auch problemlos abziehen. Ich sehe kleine Taschen in der Auslage und sie hat genau das, was ich brauche: Eine robuste Tasche, etwas größer als DIN A 5, mit einer Schlaufe auf der Rückseite, die mit Klettverschluss zu öffnen ist, und Trageriemen. Passt ideal
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