Lenke meine Fuesse Herr
Lehmbauweise. Die Bar ist offen, ich habe Hunger: Frühstück! Der Raum füllt sich: die einsame Französin von heute früh, die beiden Italienerinnen, die Amerikanerin „long time no see“. Die Deutsche von vorhin, Konstanze aus Leipzig, rufe ich hinein und spendiere ihr einen Kaffee. Jetzt regnet es draußen — doch kaum habe ich den Poncho ausgepackt und den Regenschutz über den Rucksack gezogen, hat es schon wieder aufgehört. Also Poncho wieder zusammengerollt und unter die Packriemen gesteckt.
Weiter! Nach San Nicolas überhole ich wieder einmal Bodil. Jetzt wird man sich wohl wirklich nicht mehr sehen — einer der vielen Abschiede auf dem Camino. Es geht durch ein fruchtbares Flusstal, ein kleiner Schlenker über eine alte Steinbrücke an einer schönen romanischen Kirche vorbei (Nostra Señora del Puente) und dann bin ich in Sahagún: durch das Gewerbegebiet am Ortseingang, die Bahnlinie entlang zum Albergue. Kurz bin ich versucht, zu bleiben — doch ich will und muss weiter. Alles, was ich jetzt suche, ist ein Lebensmittelgeschäft und eine Farmacia — ich brauche Pflaster. Doch die Markierung führt mich durch Nebensträßchen um den Stadtkern herum. Nahe am Ortsausgang gehe ich durch den Arco de San Benito in die Altstadt, doch ich finde nicht, wonach ich schaue. Also zurück. An einer schönen Wasserstelle fülle ich meine Flaschen, wasche gründlich meine verstaubten Füße und Sandalen und mache, dass ich aus der Stadt komme.
Ein großes Sportgelände mit Campingplatz, mittendrin eine Bar. Ich merke erst jetzt, wie hungrig ich bin! Ich esse ein Schinkensandwich, trinke ein Bier, lese in der Zeitung und sehe im Fernsehen von dem Flächenbrand in Zentralspanien, der elf Tote forderte und 80 Quadratkilometer Wald und Felder vernichtet hat.
Jetzt geht es durch eine riesige Straßenbaustelle. Der Autobahnbau macht anscheinend aus allen Karten und Wegbeschreibungen Makulatur. Bei Calzada del Coto habe ich die Wahl, entweder der Via traiana zu folgen oder dem klassischen Camino francés. Vorher habe ich mich noch mit einem spanischen Radpilger unterhalten, der fürchterlich über die Baustellen schimpfte. Ich nehme den „klassischen“ Weg über Bercianos del Real Camino und El Burgo Ranero. Auch hier ein gut ausgebauter Weg parallel zur Straße, bequemes Gehen, auch in Sandalen: Meine Füße haben anscheinend Augen bekommen und vermeiden Steine und Löcher. Langsam wird es langweilig; die Reihe junger Platanen, die Felder, mal eine Baumgruppe um einen kleinen Tümpel — einzige Abwechslung sind die Autos drüben auf der Nationalstraße. Wie in Trance komme ich zur Virgen de Pereal, von außen schöne alte Kirche, aber natürlich kommt man nicht hinein. Doch es gibt hier Bänke und Tische: Ruhepause! Heute will ich weit gehen, mindestens noch bis El Burgo.
Gerade will ich aufbrechen, als zwei Radfahrer kommen, ein Er und eine Sie — und der Mann trägt den gleichen Lederhut wie ich. Aber das ist auch das Einzige, was uns verbindet. Er scheint seine Begleiterin ganz schön unterm Daumen zu haben — kaum ein Wort sagt sie, während er fast pausenlos redet, sich über die Unfreundlichkeit der Spanier, die schlecht ausgestatteten Herbergen und ganz besonders über den unverschämten Herbergswirt in Frómista beklagt: „Der hat da an der Tür in den Hof was hingestellt, dass man absteigen muss! Und als ich das weggeschoben habe, hat er sich fürchterlich aufgeregt und uns die Herberge verweigert! Angeblich, weil kein Platz sei! Und als ich sein komisches Hindernis beim Rausfahren wieder weggeschoben habe, hat er sich noch mal aufgeregt! So eine Unverschämtheit!“ Ich sage nichts weiter dazu — habe ich den Hostalero in Frómista doch als freundlichen und liebenswerten Gastgeber kennen gelernt. Als die beiden weiterfahren, ertappe ich mich dabei, ihnen ganz unchristlich und gar nicht pilgergerecht auf der nächsten langen Mesetastrecke vier Plattfüße auf einmal zu wünschen!
Noch immer innerlich kopfschüttelnd komme ich nach Bercianos del Real Camino. Eigentlich suche ich nur einen Laden — doch da ist die Wegweisung zum Refugio und ich beschließe, mir das zumindest anzusehen — und das ist das Beste, was ich heute tue!
Ein altes Lehmhaus — und in der Tür steht eine liebevoll lächelnde Nonne mit einem Gesicht wie ein Licht. Carolina heißt sie und sie empfängt mich auf italienisch . Aus mit Weitergehen! Ich finde mein Bett und dusche, Suor Carolina fragt, ob ich abends mitessen will
Weitere Kostenlose Bücher