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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Wittenberg
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Überfluss kommen auch noch die Reiter angesprengt und galoppieren rücksichtslos den Steinhaufen hinauf bis direkt an das Kreuz. Der Führer einer deutschen Reisegruppe ist genauso empört wie ich. „Seit zehn Jahren führe ich schon Pilger hierher, aber so ein Rummel ist mir noch nicht begegnet! Ist denen denn nichts mehr heilig!?“ Angelika tröstet mich, als mir wieder die Tränen kommen, doch diesmal aus Wut und Enttäuschung. Auch sie ist enttäuscht.

    Trotzdem: Mein Stein findet einen Platz direkt am Stamm! Fluchtartig verlassen wir das Cruz de Ferro!
    Ein paar hundert Meter weiter steht ein Eisenkreuz am Weg — hier halten wir ein paar Minuten stille Einkehr und ich lege einen aufgelesenen Stein auf seinen Sockel, wie schon andere vor mir.
    Nicht viel später machen wir ein ausgiebiges Picknick inmitten einer grandiosen Berglandschaft. Ich rufe Silvia an und erfahre von den Anschlägen in Santiago und Ägypten. Dennoch lassen wir es uns schmecken. Einige hundert Meter weiter die berühmte Station von Thomas, dem Pilger — da ist aber nur ein junger Mann, der sich nicht weiter um uns kümmert. Es geht jetzt endlos auf heißen, staubigen und steinigen Wegen — doch die Berglandschaft ist großartig. Wir wollen nach El Acebo — und das kommt und kommt nicht! Wir sind beide schon ziemlich fertig, als wir es endlich unter uns sehen.

    Das Albergue ist ziemlich voll — im Hinterhaus der örtlichen Pinte. Doch wir finden unsere Betten, duschen, waschen Wäsche, trinken eine Kleinigkeit. Ein krummbeiniger kleiner Deutscher fällt mir auf, der sich wegen irgendwelcher Telefonschwierigkeiten an eine kleine, schmale Deutsche wendet, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich gehe einkaufen im Laden am anderen Ende des Dorfes, dann esse ich noch in der Pinte. Angelika und ich haben ausgemacht, dass wir ab morgen getrennte Wege gehen — drei Tage zusammen genügen.

Montag, 25. Juli 2005
El Acebo – Cacabelos 34 km

    Es war zwar nicht so gedacht, aber Angelika und ich starten gemeinsam. Der Hostalero, der gleichzeitig der Gastwirt des Dorfes ist, lässt uns nicht ohne einen Kaffee ziehen und so verlassen wir erst gegen viertel vor sechs das Lokal. Erst geht es ein Stück Straße, dann auf steilen, steinigen Pfaden abwärts — das Mondlicht hilft und bald wird die Sonne aufgehen. Wir überholen, noch auf der Straße, zwei deutsche Frauen; eine zieht einen Riesenrucksack wie einen Trolley auf zwei Räderchen hinter sich her — wie sie das in schwerem Gelände machen will, ist uns schleierhaft. Als wir Riego de Ambros durchqueren, ist es noch dunkel — auch ein Ort, den man lieber im Hellen sähe, doch der Tagesrhythmus des Wanderns im Hochsommer fordert einen Start in der Dunkelheit, damit man in der Gluthitze des Nachmittags sein Tagesziel schon erreicht hat. Es geht über Stock und Stein, teilweise extrem steil — der Biker, der uns überholt, muss wohl verrückt sein! Augenscheinlich ist der Hang, den wir absteigen, letztes Jahr abgebrannt: Die Ginsterbüsche sind schwarz und tot.
    Angelika hat starke Schmerzen — nicht die Blasen, sondern der Fuß selbst. Augenscheinlich überlastet sie durch Schonhaltung die Muskulatur des Fußgewölbes! Doch sie quält sich tapfer bis Molinaseca. Wir kommen an der Marienkapelle vorbei, die direkt an den Berghang angebaut ist, überqueren den Fluss auf der alten Brücke und nach kurzem Suchen finden wir ein Restaurant, das schon offen hat und in dem es Frühstück gibt: frisch gebackenes Brot und warme, köstliche Schokohörnchen! Die beiden deutschen Frauen kommen und raten Angelika, heute nur bis Ponferrada zu laufen. Dort solle sie morgen oder übermorgen den Bus nehmen, so einige Tagesmärsche sparen und den Rest bis Santiago in Minietappen gehen! Angelika scheint überzeugt. Wir laufen durch den Ort bis zum Albergue am Ortsausgang und da nehmen wir Abschied. Eine Umarmung, ein Kuss auf die Stirn: „Gott behüte dich!“ — und dann marschiere ich los, ohne mich umzusehen. Die Straße geht immer geradeaus und den Berg hinauf — oben blicke ich doch noch mal zurück und sehe die kleine Gestalt tapfer den endlosen Gehsteig entlanghumpeln.
    Über den Berg — linkerhand ein abgebrannter Waldhang — durch Kleingärten und an einer Neubausiedlung vorbei hinein nach Ponferrada. Die eindrucksvolle Ruine der alten Templerburg ist von Baukränen umstellt, die Altstadt ist — eben eine Altstadt, die nicht unter dem Krieg gelitten hat. In der Kathedrale wohltuende Ruhe —

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