Lenke meine Fuesse Herr
Frühstück zu, eine Sammlung wird organisiert und eine Viertelstunde später werden dem Polen über zweihundert Euro überreicht — er strahlt vor Glück und Dankbarkeit!
Inzwischen ist auch Angelika verarztet und wir machen uns gegen viertel nach sechs auf den Weg hinaus aus der Stadt. Bis El Ganso werden wir es heute Abend nicht mehr schaffen, wir haben beschlossen, heute draußen zu schlafen. Wir kaufen noch Lebensmittel in einem kleinen Supermarkt und gegen 19.00 Uhr sind wir wieder auf dem Camino. Nachdem wir die Stadt verlassen haben, geht es parallel zur Straße auf einem Kiesweg. Angelika läuft mit frisch behandelten Füßen und meinen Stöcken recht gut. Wir kommen zur Ermita Ecce Homo — ein schönes kleines Kirchlein. Einige Rentner sitzen am Eingang, halten ein Schwätzchen und drücken den Besuchern Blätter mit der Beschreibung der Eremitage und mit Pilgergebeten in die Hand. Mir ist nach Singen: Ich stelle mich in den Gang, singe mein Pilgerlied und bemerke gar nicht, dass hinter mir das Schwatzen aufhört. Alles steht in der Tür und eine der Frauen bedankt sich bei mir, als ich die Kirche verlasse.
Weiter die Straße entlang. In Murias de Rechivaldo führt der Camino endlich davon weg und durch den Ort. Vor der Bar trinken wir eine Cerveza und beobachten die frisch geduschten Pilger, die sich langsam zum Abendessen einfinden. Am Ortsausgang lockt das Refugio — sogar unter deutscher Leitung! Hier kann Angelika endlich einen Wanderstock kaufen und ich nehme meine „Vorderbeine“ wieder an mich. Weiter, den staubigen, schnurgeraden und leicht ansteigenden Weg entlang, der sich wieder an eine Teerstraße anschmiegt. Es dämmert, die Sonne berührt vor uns den Horizont. Links drüben auf der Heide Trockenmauern — Weidezäune sozusagen. Ich entdecke eine etwas höher gebaute Ecke, die Windschutz verspricht und mache Angelika den Vorschlag, dort zu lagern. Sie ist einverstanden und wir überwinden den breiten Straßengraben, kämpfen uns durch Disteln und finden schließlich einen lauschigen Winkel.
Angelika kriegt meinen Schlafsack, ich verkrieche mich in den Bivibag, beide haben wir Isomatten. Von Ferne leuchtet die angestrahlte Kathedrale von Astorga herüber, Schwärme von Vögeln brausen im Tiefflug, zum Greifen nah, über uns hinweg und formen Figuren an den dunkler werdenden Himmel. Aus dem nächsten Tal schallt die Musik und die Lautsprecheransagen eines Dorffestes zu uns herüber. Wir essen noch Brot und Wurst, trinken Wein und gegen halb elf wünschen wir einander gute Nacht. Mitten in der Nacht wache ich auf: Der Bivibag ist von innen nasskondensiert! Ich ziehe meine Fleecejacke an und decke mich mit dem Sack nur zu. Angelika schläft ruhig. Die Musik hat aufgehört, der Mond scheint taghell: Schön! Ich schreibe noch ein paar Zeilen Tagebuch und schlafe dann wieder ein.
Sonntag, 24. Juli 2005
Santa Catalina — El Acebo 30 km
Es ist noch dunkel, als uns Angelikas Handy aus dem Schlaf klingelt — sie hatte den Wecker gestellt — doch der Mond scheint so hell, dass wir ohne Taschenlampen alles finden und einpacken können. Wir machen uns im Mondschein auf den Weg und marschieren zügig. In Santa Catalina füllen wir unsere Wasserflaschen. El Ganso durchqueren wir mit mittlerweile recht ordentlichem Kaffeedurst, übersehen aber auch nicht, dass es hier sehr altertümliche Häuser mit Strohdächern gibt, teilweise verfallen, doch auch einige, die restauriert werden oder wurden.
Es ist hell geworden und wir haben schon Wanderer überholt, als wir in Ra-banal del Camino einlaufen und dort frühstücken. Wir sind nun mitten in der Maragatería, einem Vorgebirge der Galizischen Berge. Am Ortsende eine Gruppe von Reitern, die hier Pause gemacht haben. Seit Astorga ist es immer leicht bergauf gegangen. Nun verlässt der Weg endlich die Straße, Foncebadón mit den verfallenden Häusern wird durchquert, es wird steiler, geht durch Wald — und dann taucht vor uns das Cruz de Ferro auf.
Ich bin überwältigt: Fast 2500 Kilometer habe ich meinen Wertachkiesel von zuhause bis hierher getragen, um ihn am Fuß des Kreuzes abzulegen! Dies ist eine der wichtigsten Stationen auf meinem Weg. Als mir die Tränen kommen, bin ich froh über Angelikas Hand, die sich in meine schiebt. Doch dann bin ich am Kreuz und bin maßlos enttäuscht: Rummel mit Fressbuden, Bierzelt und Bustouristen, die Fotos machen. Alles, was dieser Ort an Einkehr und Freude bieten könnte, ist zerstört! Zu allem
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