Lennox 01 - Lennox
und viel schneller gekommen als erwartet. Andererseits wurde es in Glasgow ständig hässlich, und zwar ohne besonderen Grund und wie aus heiterem Himmel. McNab wartete noch einen Augenblick auf Antwort. Als ich sie ihm schuldig blieb, ging er zur Zellentür, um den Bauerntrampel mit den wunden Knöcheln zu rufen.
»Warten Sie ...«, rief ich ihm nach, ohne zu wissen, wie ich weiterreden sollte. »Ich sage Ihnen alles, was ich habe. Für mich ergibt das Ganze zwar keinen Sinn, aber ich sage Ihnen die Wahrheit. Ich hatte noch nie mit einem von den McGaherns zu tun, bis Frankie mich gestern Abend in der Kneipe angesprochen hat.«
»Das kann ich nicht so recht glauben, wenn man bedenkt, in welchen Kreisen Sie verkehren, Lennox.«
»Ich verkehre in überhaupt keinen ›Kreisen‹, Superintendent. Meine Arbeit bringt es mit sich, dass ich mit gewissen Leuten in Berührung komme – darunter ein paar Bullen –, bei denen manche Menschen die Straßenseite wechseln, wenn sie ihnen entgegenkommen. Aber mit Frankie McGahern hatte ich nie zu tun. Und mit seinem Bruder auch nicht.«
Wieder schwieg McNab, doch er rief seinen Schläger nicht herein. Andererseits setzte er sich auch nicht wieder auf die Pritsche.
»Alles, was ich Ihnen sonst noch erzählen könnte«, fuhr ich fort, »müsste ich erfinden, um Prügeln zu entgehen.«
Ein anderer Polizist kam in den Zellengang. Ich erkannte ihn. Ich versuchte, mir die Erleichterung nicht anmerken zu lassen, kam mir aber vor wie der letzte Überlebende des von Indianern überfallenen Wagenzugs, der das Trompetensignal der herangaloppierenden Kavallerie hört.
»Was ist denn, Inspector?« McNab machte deutlich, dass die Störung ihn ärgerte. Der Detective im Gang musterte mich demonstrativ und betrachtete eingehend meine nasse Weste und die nassen Schuhe, ehe er antwortete.
»Ich habe Mr. Lennox’ Hauswirtin gesprochen, Sir. Sie bestätigt, dass er gegen Viertel nach zehn zu Hause war und nicht wieder gegangen ist, bis wir gekommen sind und ihn verhaftet haben.«
Die vom scheuernden Kragen gerötete Haut an McNabs Hals wurde noch röter. Nichts ist ärgerlicher, als offen gesagt zu bekommen, was man die ganze Zeit gewusst hat, aber auf unbestimmte Zeit verschweigen wollte.
»Soweit sie sagen kann«, erwiderte McNab. »Sie muss doch geschlafen haben, oder?«
»Sie sagt, auf keinen Fall könnte er das Gebäude verlassen haben, ohne dass sie es gehört hätte. Sie ist bereit, das auch vor Gericht auszusagen.«
McNabs Kragenröte ging in dem allgemeinen Zornesrot unter, das aus seinem dicken Hals emporstieg. Er starrte seinen Untergebenen einen Moment lang wütend an; dann wandte er sich mir zu und sagte, ich könne gehen.
Jock Ferguson erwartete mich im Empfangsbereich des Reviers. McNabs widerstrebende Freigabe meiner Person schloss keine Fahrt zu meiner Wohnung mit ein, und ich war erleichtert, als Ferguson mir ein Hemd, meine Anzugjacke und ein Paar Schuhe reichte.
»Keine Socken?«, fragte ich. Ferguson zuckte die Achseln.
Jock Ferguson war mein Kontaktmann, der mir von Tam McGaherns Heimgang berichtet hatte. Jock gehörte zu den Bullen, mit denen ich in den letzten Jahren mehrmals zu tun gehabt hatte. Er war in meinem Alter, fünfunddreißig, wirkte aber älter, wie viele Männer, die im Krieg vom Jugendlichen nahtlos zum Mann mittleren Alters geworden sind. Vielleicht wirkte ich auf andere Menschen genauso. Ferguson war intelligenter als der Durchschnittspolizist und wusste das auch. Bullen mögen es im Allgemeinen, wenn Menschen simpel gestrickt und leicht zu durchschauen sind, und Jock Ferguson war weder das eine noch das andere. Ich hatte den Eindruck, dass er bei seinen Kollegen schon immer als Außenseiter gegolten hatte. Sein Verstand musste ihnen unheimlich vorkommen. Ich hatte ihn als jemanden erkannt, den der Gedanke an den Menschen, der er früher einmal gewesen war, nicht losließ. Vielleicht gab er sich deshalb mit mir ab. Ein anderer Grund fiel mir nicht ein.
»Danke«, sagte ich. »Das wurde langsam ein bisschen zu heimelig.«
Ferguson antwortete nicht, und ich bemerkte, dass wir die gleichermaßen ungeteilte wie mürrische Aufmerksamkeit des Reviersergeanten genossen, der seine Ärmelstreifen auf der Empfangstheke ruhen ließ. Ferguson führte mich aus dem Revier hinaus auf die Straße. In der Morgendämmerung war Glasgow grauschwarz, während die Sonne sich mürrisch über den Horizont quälte; ich spürte den kalten Atem der Stadt an meinen
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