Lennox 02 - Lennox Rückkehr
meine beste erstaunte Miene auf, die vermutlich genauso überzeugend war wie bei ihrer letzten Benutzung, als meine Mutter mir zum Geburtstag den Wollpullover schenkte, den ich sie drei Wochen lang hatte stricken sehen.
»Gentlemen ... was kann ich für Sie tun?«
»Sie sind Frühaufsteher, Lennox«, sagte McNab säuerlich.
»Sie wissen ja, was man so sagt von Gold im Mund und so weiter.«
»Steigen Sie ein, Lennox.« McNab trat zur Seite und hielt mir die Tür auf. Ich stellte mir vor, dass es die erste von vielen Türen wäre, die hinter mir ins Schloss fielen. Mein Mund war trocken, und mein Herz pochte wie verrückt, aber ich gab mich nach außen so ungerührt, wie ich konnte.
»Darf ich mir noch meine Jacke holen?« Mit dem Daumen zeigte ich in Richtung des Hauses. Dabei sah ich Fiona White am Fenster ihrer Wohnung stehen.
»Gehen Sie mit«, sagte McNab zu Ferguson, der mir achselzuckend ins Haus folgte.
Als wir die Treppe hinaufstiegen, nutzte ich die Gelegenheit. »Was soll das Ganze?«, fragte ich.
»Das werden Sie schon sehen«, erwiderte er.
Ich wusste, dass er recht hatte.
***
Der Streifenwagen fuhr nicht zum Polizeipräsidium am St. Andrew’s Square. Während ich zwischen McNab und Ferguson gezwängt auf der Rückbank saß, merkte ich sehr schnell, dass es zum Fluss und zur Zollfreizone ging.
»Wohin fahren wir?«, fragte ich, als hätte ich nicht die leiseste Ahnung. Wir bogen auf die Kopfsteinpflasterstraße und erreichten den Brückenbogen, unter dem ich den Atlantic versteckt hatte.
Wir hielten nicht, sondern fuhren weiter, bis wir einen Streifenbeamten mit den Zebramanschetten der Verkehrspolizei über der Uniformjacke sahen. Er schien an einem Grasstreifen zu stehen. Als wir näher kamen, gab er uns ein Zeichen zum Einbiegen. Die kaum erkennbare Einmündung einer weitgehend überwucherten, gepflasterten Zufahrtstraße, gerade breit genug für den Wolseley, öffnete sich vor uns, und wir holperten den Weg bis zum Flussufer hinunter. Der Weg verbreiterte sich zu einem kahlen Uferstreifen. Offenbar war hier einmal ein Kai gewesen, doch die deutsche Luftwaffe hatte ihn gekonnt für den Rest des Jahrhunderts unbrauchbar gemacht. Gewaltige Betonklötze ragten wie Zahnstummel aus dem Gras, und rostige Stahlstangen lugten verborgen aus den Bruchkanten hervor. An einer Ecke des Geländes stand ein Bagger; seine Schaufel ruhte schwer auf dem Boden. Wo offenbar die Ladezone des Kais gewesen war, standen dicht am Wasser vier Polizeiautos und ein Krankenwagen, der es auf der Zufahrt schwer gehabt haben musste. Was immer hier los war, es sah nicht danach aus, als ginge es um meinen Einbruch in Barniers Büro.
McNab und Ferguson führten mich zu den geparkten Fahrzeugen.
»Er wurde hier heute Morgen von Arbeitern gefunden, die das Gelände für weitere Zolllagerhäuser freiräumen sollten«, sagte Ferguson. »Wir nehmen an, dass er seit mindestens einem Tag tot ist.«
»Wer? Und was hat das mit mir zu tun?«, fragte ich ehrlich verwirrt. Die hintere Ladetür des Rettungswagens stand offen; auf der Trage darin lag ein Körper, bedeckt mit einer grauen Decke.
»Was es mit Ihnen zu tun hat?« McNab musterte mich höhnisch. »Das will ich von Ihnen wissen. Wie uns zu Ohren gekommen ist, suchen Sie den Kerl schon über eine Woche. Und jetzt finden wir ihn tot auf.«
Meine Eingeweide machten einen Hüpfer. Für ein paar Sekunden reiste ich geistig in die Zukunft und malte mir aus, wie ich vor Sheila Gainsborough stand, nach Worten suchend, um ihr zu sagen, dass ich ihren Bruder gefunden hatte. Tot.
Also war John Largo kein Spuk. Keine Schattengestalt ohne Substanz. Und er hatte Sammy Pollock doch noch eingeholt.
McNab zog die Decke zurück. »Sie kennen ihn, vermute ich?«
»Sie vermuten richtig«, sagte ich resigniert, während ich auf die Leiche schaute. Hinter der stillen Resignation versteckte ich mein Erstaunen und meine Erleichterung. »Das ist Paul Costello.«
Costellos Augen standen weit offen. Staubkörner und Erdkrümel lagen darauf; bei dem Anblick wollte man unwillkürlich blinzeln. Sein Gesicht war bleich, sein Haar wirr. Die Blässe seiner Haut stand in schroffem Kontrast zu der lebhaften Farbe der klaffenden Wunde, die sich wie das Lächeln eines Clowns über seine Kehle zog. Er war tot, sehr tot.
»Warum haben Sie Costello gesucht?«, fragte McNab. Er schlug die Decke wieder über das tote Gesicht.
»Sein Vater, Jimmy Costello, hat mich darum gebeten«, antwortete ich
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