Lennox 02 - Lennox Rückkehr
nach Greenock abbog, nahm ich an, dass er direkt nach Hause fuhr. Ich musste mich so weit zurückhalten wie möglich, ohne ihn zu verlieren. Die Straße folgte dem Ufer des Clyde, und obwohl es die Hauptverbindungsstrecke zwischen Glasgow und seiner Satellitenstadt Greenock war, sah ich in beiden Richtungen so gut wie keine anderen Autos. Wir kamen an der Stelle vorbei, wo ich zu dem Stausee abgebogen war, an dem ich dann im Wagen übernachtet hatte. Zu meiner Überraschung fuhr der Simca an Langbank vorbei und hielt sich weiter nach Westen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Importeur erlesener Weine und orientalischer Kuriositäten in Greenock zu tun haben könnte.
Er fuhr auf die Stadt zu. An einer Stelle, wo die Küste eine Kurve nach Süden beschreibt, verlor ich ihn. Ich beschleunigte ein wenig und wäre fast an der Abzweigung vorbeigefahren. Port Glasgow hatte eine gewaltige Zuckerfabrik, und der Berg, der sie überragte, hieß Lyle Hill. Auf der Straße den Lyle Hill hinauf kam ich an Barniers geparktem Simca vorbei. Ich fuhr weiter, bremste nicht einmal ab, ehe ich die Kurve in der Lyle Road hinter mir hatte und mich außerhalb seiner Sicht befand. Ich hielt am Straßenrand und nahm ein Fernglas aus dem Handschuhfach. Dann musste ich den Hang hinaufsteigen, um an eine Stelle zu gelangen, von der aus ich Barnier beobachten konnte. Mit meinen lederbesohlten Gibsons rutschte ich immer wieder auf dem glitschigen Gras aus. Mehrmals fiel ich auf die Knie und verfluchte die feuchten, dunklen Flecken auf meinen Hosenbeinen, zumal die Trockenreinigungen der Stadt dafür bekannt waren, dass sie mit der Behutsamkeit einer Abbruchfirma arbeiteten.
Schließlich erreichte ich die Hügelkuppe. Es kam mir vor, als stände ich am Rand eines Golfplatzes. Sträucher und ein paar krüpplige Bäume gaben mir Deckung, als ich auf die Straße hinunterschaute, die sich wie ein Band um den Rand des Lyle Hill zog. Ich hatte einen atemberaubenden Blick über den Clyde hinweg zu den Bergen auf der Halbinsel Cowal. Unmittelbar unter mir lag Greenock auf der einen und Gourock auf der anderen Seite; weiter hinaus befand sich der Tail of the Bank. Aus dieser Bucht waren meine Eltern mit mir als Säugling aufgebrochen, um ein neues Leben in Kanada zu beginnen.
Am interessantesten war jedoch, dass Barnier vor dem Denkmal stehen geblieben war, das den Anblick beherrschte. Das Denkmal besaß die Form eines riesigen weißen Ankers, dessen Schaft demonstrativ in den Himmel stach. Statt des üblichen Ankerrings am oberen Ende hatte der Schaft zwei Stöcke, die ihn kreuzten, einer kürzer als der andere: ein Lothringer Kreuz. Als städtisches Mahnmal hätte es auffälliger nicht sein können.
Ich beobachtete Barnier. Es ließ sich schwer sagen, ob er auf jemanden wartete oder ob das Denkmal eine besondere Bedeutung für ihn hatte. Er schien die Inschrift im Sockel zu lesen. Dann drehte er sich um, lehnte sich an das Geländer, den Rücken zu mir, und schien über den Firth of Clyde hinauszublicken. Gut zehn Minuten stand er dort, ehe er sich abwandte und zu seinem Wagen zurückging. Ich fluchte innerlich. Ich war sicher gewesen, dass er mit jemandem verabredet war, zumal das Denkmal sich ideal als Treffpunkt eignete. Wahrscheinlich hatte ich aber nur zu viele Orson-Welles-Filme gesehen.
Ich hastete den Hang hinunter, so schnell ich konnte, um meinen Atlantic zu erreichen. Wenn Barnier den Berg wieder hinunterfuhr, musste ich mich beeilen, sonst verlor ich ihn. Zweige griffen wie Finger nach meinen Hosenbeinen, als wollten sie mich aufhalten. Zweimal verlor ich den Hut und bewies echte Torwartqualitäten, indem ich ihn auffing, ehe er im Matsch landete. Ich brach aus dem grünen Dickicht hervor und kam wenige Meter von der Stelle, wo ich den Atlantic geparkt hatte, auf die Straße.
Man sieht es in jedem Western: Die Siedler erreichen die Passhöhe und entdecken die bedrohlich reglosen, schweigsamen Silhouetten berittener Apachen oder Banditen, die auf dem Berg stehen und auf sie heruntersehen. Die Badlands.
Port Glasgow war Schottlands Gegenstück zur Painted Desert, und als ich wieder auf der Straße war, standen drei Teddy-Boy-Comancheros an meinem Wagen. Mein Bauch sagte mir, dass keine Absicht hinter dieser Begegnung steckte: Die Typen hatte nichts damit zu tun, dass ich Barnier beschattete; es war bloß ein ganz gewöhnlicher Überfall in einer kleinen schottischen Industriestadt. Ich schätzte alle drei auf neunzehn oder
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