Lennox 02 - Lennox Rückkehr
gelegentlich Besuch empfangen können oder dass Sie hin und wieder einen Anruf für mich entgegennehmen, ohne dass ich den Eindruck bekomme, dass es Ihnen zu weit geht. Mir ist natürlich klar, dass Sie sich nicht freiwillig entschieden haben, Ihr Haus aufzuteilen und einen Mieter aufzunehmen. Aber Sie haben es getan, und ich bin hier. Und wenn nicht ich es wäre, dann wäre es jemand anders. Ich bin nicht schuld an den Umständen, durch die diese Wohnung verfügbar wurde.« Ich stand auf und ging zur Anrichte. Ich nahm die gleiche Whiskeyflasche und goss mir ein Glas ein. Auf der Anrichte stand auch eine Flasche Williams and Humbert Walnut Brown Sherry, und ohne zu fragen, füllte ich damit ein Glas für Mrs. White und reichte es ihr. Einen Augenblick lang sah es aus, als würde sie den Kopf schütteln, doch dann nahm sie das Glas wortlos entgegen.
»Wenn Sie bleiben möchten, dann bleiben Sie«, sagte sie. »Aber erwarten Sie nicht von mir, dass ich Ihnen ein Verdienstabzeichen anstecke, nur weil Sie Ihren vertraglichen Pflichten als Mieter nachkommen.«
Sie trank einen Schluck Sherry ab. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich glaubte zu sehen, wie ihre starren Schultern sich ein wenig lockerten.
»Mir gefällt es hier«, erwiderte ich, »das sagte ich ja schon. Außerdem möchte ich für die Mädchen tun, was ich kann.« Damit meinte ich Fiona Whites Töchter.
»Wir sind nicht auf Mildtätigkeit angewiesen, Mr. Lennox. Wir brauchen nichts von Ihnen.« Das Tauwetter war kurz und trügerisch gewesen. Sie stellte das Sherryglas auf den Tisch und stand abrupt auf. »Wenn das alles ist, Mr. Lennox, gehe ich jetzt lieber zu den Mädchen zurück.«
»Was mögen Sie nicht an mir, Mrs. White?«, fragte ich geradeheraus. »Liegt es daran, dass ich Kanadier bin? Ist es mein Beruf? Oder nur der Umstand, dass ich hier bin?«
Das war es. Aus einem Kältehauch in der Luft wurde eine Eiszeit.
»Was soll das heißen?«
»Ich meine damit, dass ich hier bin. Dass ich wiedergekommen bin. Ich habe überlebt und Ihr Mann nicht. Manchmal glaube ich, Sie lehnen mich ab, weil ich für jeden stehe, der nicht im Krieg gefallen ist.«
Sie wandte sich ab, steuerte die Tür an. Ich huschte an ihr vorbei, legte meine Hand auf den Knauf und wollte ihr öffnen, doch sie missverstand meine Absicht und zerrte an meiner Hand. Ihr Griff war kräftig; warme, schlanke Finger umfassten mein Handgelenk.
Sie stand ganz nahe bei mir. Ich roch den Sherry in ihrem Atem. Den Geruch von Lavendel an ihrem Hals. Wir erstarrten, und unsere Blicke trafen sich. Sie atmete schwer. Ich atmete gar nicht. Die Sekunde schien sich ewig zu dehnen. Dann riss sie die Tür auf und stürmte die Treppe hinunter.
»Gute Nacht, Mr. Lennox«, sagte sie, den Rücken zu mir, mit schwankender Stimme.
»Mrs. White ... Fiona ...«
Sie erreichte das untere Ende der Treppe und warf die Wohnungstür hinter sich zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ich kehrte in meine Wohnung zurück und nahm mir noch einen Whiskey, um mein diplomatisches Talent zu feiern und mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal in einer Situation mit einer ähnlichen sexuellen Spannung gewesen war. Ich fragte mich beiläufig, was wohl aus Maisie MaxKendrie geworden sein mochte, mit der ich auf dem Gemeindefest der presbyterianischen Kirche von Saint John getanzt hatte, als wir beide fünfzehn gewesen waren.
Aber das war nicht alles, was mir durch den Kopf ging. Nachdenklich trank ich meinen Whiskey. Es gab vieles, worüber ich mir den Kopf zerbrechen musste.
Dex Devereaux zum Beispiel. Und wie es kam, dass die Polizei der Stadt Glasgow ihn so großherzig unterstützte. Bis an die Grenze der Unterwürfigkeit.
9.
Es gibt Menschen, die die Unwägbarkeiten des Lebens genießen, dieses Niemals-wirklich-wissen-können, was hinter der nächsten Ecke wartet. Man wacht am Morgen auf und nimmt den Tag in Angriff, und zum Glück ist man blind für die Dinge, die sich in den nächsten vierundzwanzig Stunden in Müll verwandeln können. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, mich rasierte und wusch, blieb mir keine Zeit zu überlegen, um was für eine Sache es sich handeln könnte, die groß genug war, transatlantisches Interesse zu wecken, denn andere Entwicklungen nahmen meine Aufmerksamkeit in Anspruch.
Ich erfuhr die Neuigkeit wie jeder andere Glasgower Bürger: aus der Schlagzeile im Glasgow Herald .
FESTNAHME IM MORD AN GLASGOWER BUCHMACHER
Auf dem Weg ins Büro kaufte ich mir die
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