Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
erschossen aufgefunden worden war, steckte Strachans Hals in der Schlinge, völlig unabhängig davon, wer tatsächlich abgedrückt hat. Aber das ist gleichgültig, denn es gab einen Zeugen. Und der Zeuge sagte, dass der größte der Räuber geschossen hat.«
»Es gab einen Zeugen?«
Ein paar andere Gäste drängten sich an Ferguson vorbei, und er runzelte die Stirn. Wir mussten halb brüllen, um uns zu verstehen, und Ferguson betonte seinen Widerwillen mit jedem Wort. Ich nahm an, er nutzte die Unterbrechung, um sich zu überlegen, ob oder wie er versuchen konnte, meiner Frage auszuweichen.
»Den Fahrer des Geldtransporters«, sagte er schließlich. »Er sagte aus, es wären fünf Räuber gewesen. Sie trugen alle Strumpfmasken, aber einer war groß, die anderen höchstens eins siebzig. Meiner Meinung nach weist das eindeutig darauf hin, dass Strachan der Schütze war. Deshalb ist es vielleicht auch kein Zufall, dass Gentleman Joe in tiefen, dunklen Schlaf versetzt wurde: Er hat jedem Mann in der Gang die Schlinge um den Hals gelegt. Und dafür musste er bezahlen.«
»Woher wissen Sie überhaupt, dass es Strachan war? Ich dachte, die Identitäten der Täter beim Empire-Raub seien unbekannt.«
»Strachan …« Ferguson schwieg wieder, als Big Bob uns zwei Teller hinstellte, jeden mit einer kleinen runden Fleischpastete mitten in einem Teich aus zäher Soße. »Strachan hat sich gleich nach dem Raub dünnegemacht. Komplett untergetaucht. Und Joe Strachan sah es eigentlich nicht ähnlich, sich dünnezumachen.«
»Das ist alles? Himmel, Jock, wir wissen jetzt, dass Strachan auf dem Grund des Clydes gelegen hat! Noch mehr untertauchen geht ja wohl kaum. Es könnte natürlich reiner Zufall sein, dass er fast zeitgleich mit dem Raub umgebracht wurde.«
»Sie haben recht, wir wissen nicht, wer noch in der Bande war. Aber sogar das deutet auf Joe Strachan hin. Er war immer sehr auf Geheimhaltung bedacht. Wir haben ihm nie etwas nachweisen können, weil niemand jemals über ein Ding sprach, das er mit Strachan drehen würde. Keiner wusste im Vorfeld, wo und wann er zuschlagen würde oder wer zum Team gehörte. Eines muss man ihm lassen: Wenn es um die Planung und Ausführung schweren Raubs ging, dann war er der Beste. Niemand konnte ihm das Wasser reichen, nicht einmal annähernd. Und selbst wenn er nicht von der Bildfläche verschwunden wäre, hätte er nach dem Empire-Raub ganz oben auf der Liste der Verdächtigen gestanden. Sonst kam niemand infrage. Aber die Empire-Sache war nur ein Teilstück. Von der Triple Crown.«
»Triple Crown?« Ich kannte die Geschichte, aber manchmal zahlte es sich aus, so zu tun, als wäre Glasgow ein Buch mit sieben Siegeln: Man konnte Unwissen vortäuschen, und die Leute erzählten einem mehr als eigentlich beabsichtigt.
»So nennen es die älteren Kollegen. Die mit genügend Dienstjahren auf dem Buckel, um sich daran zu erinnern. Drei große Raubüberfälle, in rascher Folge ausgeführt, aber bis auf die Sekunde und den Penny genau geplant. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie mit einer Serie kleinerer Überfälle in Zusammenhang stehen, die ein paar Monate davor begangen wurden. Testläufe, vermutete man, um die Gang auf die großen Coups vorzubereiten.«
»Und der größte dieser Coups war der Empire-Raub?«
»Ja. Es waren völlig unterschiedliche Ziele, aber alle wurden mit derselben militärischen Präzision ausgeraubt. Die Schottische Nationalbank auf der St. Vincent Street. Zwanzigtausend Pfund aus Löhnen und Gott weiß wie viel aus den Bankschließfächern. Dann ein Lieferwagen mit Gehältern auf dem Weg zur Connell-Werft in Scotstoun – so etwas wie das, was Sie jetzt machen. Dabei trugen die Mistkerle sogar Polizeiuniformen. Zweiunddreißigtausend. Und dann haben sie den echten Jackpot erwischt, die Empire Exhibition. Beute: fünfzigtausend Pfund.«
Ich stieß einen lang gezogenen Pfiff aus und wirkte vermutlich stärker beeindruckt, als es in Gegenwart Fergusons ratsam war. Einhundertzweitausend Pfund war eine gewaltige Summe, zumal im Vorkriegs-Glasgow. Da überraschte es wenig, dass jeder angenommen hatte, Gentleman Joe wäre endgültig untergetaucht. Mit so viel Geld konnte man überall ein neues luxuriöses Leben beginnen und hatte trotzdem noch genug über, um sich das Schweigen anderer zu erkaufen. Und einhundertzweitausend Pfund waren auch, begriff ich, mehr als genug, um jedes Jahr dreitausend in einen Umschlag zu stecken und zu versenden – das nahm man aus der
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