Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
in der Hand hielt. Aber so einfach konnte es nicht sein, sagte ich mir. Im Jahr ’38 hätte die Polizei mühelos solch eine Liste mit Namen erstellen können, und trotzdem war nie auch nur ein einziger Täter überführt worden.
Der einzige Name, nach dem ich mich erkundigen musste, war John Bentley.
»Ich habe ihn nie gesehen. Mum sagte, es sei jemand, über den sich Daddy einmal mit den anderen unterhalten habe.«
***
Ehe ich Willie Sneddon aufsuchte, rief ich an und machte einen Termin. Bei seiner Sekretärin.
Denn dahin hatte sich der Umgang mit Willie Sneddon entwickelt: Sekretärinnen, Termine und Besprechungen in Büros.
Willie Sneddon war der mit Abstand tückischste und gefährlichste der Drei Könige. Wenn man sich überlegte, dass Hammer Murphy seinen Spitznamen nicht dank seines Geschicks in der Tischlerkunst trug, sagte das einiges. Was Willie Sneddon gefährlicher als die anderen machte, war sein Verstand. Jedes Jahr wurde in den Glasgower Elendsvierteln eine Hand voll Willie Sneddons geboren: Menschen, die gegen alle Wahrscheinlichkeit und obwohl ihnen jedes Vorbild und jede Ermutigung fehlten, die ungeschliffene Intelligenz besaßen, die nötig war, um aus der Gosse zu klettern. Mehr als die Hälfte von ihnen würde es nicht schaffen: Großbritannien war vom Klassendenken besessen und legte ihnen bei jeder Gelegenheit Steine in den Weg. Die übrigen stiegen trotz aller Versuche, es zu verhindern, auf und wurden Ärzte, Ingenieure, Selfmademen. Und ein paar, wie Willie Sneddon und Gentleman Joe Strachan, benutzten ihren Verstand, um die Unterwelt der Stadt zu beherrschen, indem sie sie in Angst und Schrecken versetzten. Sneddon war zu Strachans Zeiten noch ein zu kleiner Fisch gewesen, als dass Gentleman Joe ihn bemerkt hätte, aber wenn Strachan nicht verschwunden wäre, dann hätten sich die Wege der beiden früher oder später gekreuzt. Das wäre ein hübsches Zusammentreffen mit dem Titel Diese Stadt ist nicht groß genug für uns beide geworden.
Doch sie waren sich nicht über den Weg gelaufen, und Willie Sneddon hatte, sehr zum Ärger der beiden anderen Könige, Murphy und Cohen, das Rennen gemacht und beherrschte die Unterwelt Glasgows. Sie hatten die Stadt gleichmäßig unter sich aufgeteilt, doch Sneddons Anteil war ein bisschen gleicher gewesen als der der anderen.
Sneddon war der jüngste der Drei Könige und viel rascher viel weiter gekommen als seine Konkurrenten. Und jeder wusste, dass Sneddons Aufstieg noch nicht zu Ende war.
Wie Strachan hatte Sneddon immer darauf geachtet, dass er das Zuchthaus Barlinnie nur aus der Entfernung sah – zum Beispiel dann, wenn er in seinem Jaguar auf der A8 daran vorbeifuhr. Ein paar Zusammenstöße mit der Glasgower Polizei hatte es zwar gegeben, aber in seinem Schönschreibheft waren keine hässlichen Tintenkleckse zurückgeblieben. Seine Beziehungen zu dem öligen Anwalt George Meldrum und seine Freigiebigkeit mit braunen Umschlägen voll Banknoten hatten dafür gesorgt, dass die einzigen Schlösser und Riegel, mit denen er zu tun hatte, die waren, die sich an den Tresoren mit seinem Geld befanden. Ein Gerücht behauptete sogar, er sei mit Superintendent McNab befreundet, und zwar über das allbekannte Geflecht von Rotary Club, den Tempelrittern oder irgendeiner anderen Geheimgesellschaft, in der man sich mit einem feuchten Händedruck gegenseitig bewies, dass man die Fenier, die katholischen irischen Nationalisten, aufs Blut hasste.
Und Sneddon war reich. Beinahe unerhört reich. Er besaß mehr Geld als die beiden anderen Könige zusammen, mehr als irgendjemand wirklich beziffern konnte. Ich persönlich habe nie einen großen Unterschied zwischen Geschäftsleuten und Gangstern gemacht, nur dass ich wahrscheinlich eher dem Wort eines Gangsters getraut hätte. In Sneddon kombinierte sich die Gnadenlosigkeit eines Gangsterbosses mit der Habgier und dem Scharfsinn eines Magnaten, und das machte ihn meiner Ansicht nach zu einem einzigartigen Geschöpf im Dschungel, dem Spitzenprädator, wie Zoologen solche Wesen nennen.
Für Sneddon veränderte sich alles schnell. Er hatte den Großteil seines schmutzigen Geldes in legale Unternehmen gesteckt. Sie waren ursprünglich nur zur Fassade gegründet worden, doch dann hatte Sneddon erkannt, dass die Erträge zwar geringer ausfielen als bei illegalen Geschäften, die Risiken dafür aber viel, viel niedriger waren. Heute betrieb er daher ein erfolgreiches und absolut rechtschaffenes Import-Unternehmen,
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