Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
Verwaltung des Landsitzes fanden. Mr. Dunbar, erklärte uns eine in Tweed gekleidete alte Jungfer, die wir im Büro vorfanden, sei der stellvertretende Oberwildhüter. Sie beäugte uns mit dem scharfen Misstrauen, wie man es nur durch die lebenslange Erfahrung als Jungfrau erhält, und fragte uns, was wir mit Dunbar zu schaffen hätten.
Ich sagte Miss Marple, wir seien Versicherungsvertreter und brächten Papiere, die Mr. Dunbar unterzeichnen müsste. Was für eine Versicherung wir einem Wildhüter verkaufen sollten, konnte ich nicht sagen, es sei denn etwas gegen fasanenbedingte Verletzungen; doch die alte Schachtel gab sich mit der Erklärung zufrieden und sagte, er habe heute dienstfrei. Sie beschrieb uns den Weg zu seinem Cottage auf dem Landsitz, wo wir ihn finden könnten.
Ich war froh, dass es nicht regnete, denn nach Miss Marples Beschreibung befand sich Dunbars Cottage an einem nicht befahrbaren Weg, und wir mussten zu Fuß gehen. Früher einmal versank jeder Quadratmeter Schottlands unter einer undurchdringlichen Baumdecke, dem Kaledonischen Wald. Irgendwann in ferner Vergangenheit, ehe die schottische Geschichte sich vom Licht abwendete und ins finstere Mittelalter eintrat, war der Wald mit Feuer und Axt gerodet worden, um Brennholz und Baumaterial zu gewinnen und Flächen zu haben, auf denen Vieh grasen konnte. Das hatte zwei Jahrtausende in Anspruch genommen, aber die alten Schotten hatten es verstanden, den Großteil der schottischen Landschaft zu entblößen und in Torfmoor zu verwandeln. Heute ist, wie Dr. Johnson einmal scherzhaft anmerkte, ein Baum in Schottland so selten wie ein Pferd in Venedig. Was soll ich sagen, seit dem 18. Jahrhundert hat die Komik doch einen langen Weg zurückgelegt.
Trotz aller Bemühungen der steinzeitlichen Vor-Glasgower war das Gut, das wir abgingen, mit dichten Mischwäldchen gespickt, und unter unseren Füßen lag ein Teppich aus vom nachmittäglichen Sonnenlicht geflecktem herbstlichen Orange und Rot, eine schottische Szene der Art, wie man sie auf Keksdosen wiederfand, um die ich Paul Downey erleichtert hatte.
Nach ungefähr zehn Minuten erreichten wir das Cottage, ein kleines Steinhaus mit einem gepflegten Vorgarten und einem Koben an der Seite, in dem Schweine grunzten. In einer Ecke lag ein Haufen zusammengerechtes Herbstlaub.
Ein kleiner, vierschrötiger Mann von Mitte fünfzig kam aus dem Häuschen, als wir uns näherten. Er trug eine dunkelbraune Jacke aus einem Tweed, der so grob aussah, als wäre er aus Brombeergestrüpp gewoben, und eine flache Mütze aus kariertem Wollstoff, die nicht ganz zur Jacke passte. In der Armbeuge hing eine aufgeklappte Schrotflinte. Hinter ihm kam aber leider keine Tess von den d’Urbervilles aus dem Cottage, auch wenn es durchaus gepasst hätte.
Der kleine Mann blieb stehen, als er uns sah, und starrte uns misstrauisch entgegen, während wir näher kamen.
»Kann ich Ihnen helfen?« Trotz der pastoralen Kleidung und Umgebung hatte er immer noch eine ganze Wagenladung Glasgow in der Stimme.
»Guten Tag, Mr. Dunbar«, sagte ich. »Wir sind hier, um mit Ihnen über Gentleman Joe Strachan zu sprechen.«
Er erstarrte, als der Name aus einem anderen Leben mit ihm zusammenprallte. Dann warf er einen Blick zum Cottage zurück, als wollte er sich vergewissern, dass niemand nach ihm durch die Tür getreten war.
»Polizei?«
»Nein.«
»Nein …«, sagte er und musterte mich vom Scheitel bis zur Sohle. »Sie ziehen sich zu teuer an für einen Bullen. Ihr Kollege andererseits …«
»Ich hab die Kluft von Paisley auf der Broomielaw, müssen Sie wissen …« Wieder verabschiedeten sich Archies Augenbrauen von seinem ausdruckslosen Gesicht und offenbarten zuckend seine Kränkung, als er an seinem formlosen Regenmantel und dem sackartigen Anzug darunter hinunterblickte.
»Eine wunderschöne Umgebung, Mr. Dunbar«, sagte ich so nonchalant, wie ich konnte. »Wessen Besitz ist das?«
»Das ist eines der Güter des Herzogs von Strathlorne«, sagte er gereizt. »Wenn Sie keine Polizei sind –«
»Des Herzogs von Strathlorne?«, wiederholte ich. Ich fragte mich allmählich, ob es irgendeinen Teil Schottlands gab, der ihm nicht gehörte.
»Wenn Sie keine Polizei sind«, wiederholte Dunbar, »was wollen Sie dann? Arbeiten Sie für einen der Drei Könige?«
»Nein, Mr. Dunbar«, sagte ich und behielt meinen freundlichen Ton bei. Meine Geselligkeit rührte zum Teil von der Art her, wie er die Schrotflinte in seinem Arm wiegte.
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