Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
hineinging, bekam ich einen Auftritt wie ein Revolverheld, der den Saloon betritt. MacGregor kümmerte sich persönlich um meinen Wunsch, an mein Schließfach zu gehen. Er war sehr gesprächig, aber nervös, als könnte er an nichts anderes denken, als das Wort »Fenster« zu vermeiden und bloß nicht über das Anhalten von Taxis zu reden. Ich war froh, dass ich ihn in der Hand hatte, sonst hätte ich den Auftrag bei der Bank bereits verloren. Allerdings nützte mein Wissen über sein Privatleben auch nichts, wenn der Vorstand sich in den Kopf setzte, mich loszuwerden.
Andererseits gefiel ihnen allen vielleicht sogar die Vorstellung, dass ihr Geld von einem Mann bewacht wurde, der bereit war, über Leichen zu gehen.
Ich hatte den Webley aus dem Schließfach genommen und in den Hosenbund gesteckt. Wenn McNab erfuhr, dass ich in seiner Stadt mit einer nicht registrierten Waffe herumlief, dann würde sich das milde Tauwetter in unserer Beziehung als falscher Frühling erweisen. Aber falls wieder jemand versuchte, mich umzulegen, wollte ich mehr in der Hand haben als einen Garderobenständer.
Als ich in meiner Wohnung angekommen war, nach dem reizenden Gespräch mit James White, hatte ich den Revolver unter mein Kopfkissen gelegt.
Gegen halb neun zog ich mein Jackett über, setzte den Hut auf, ging hinunter zum Flurtelefon und rief Isa an. Wir verabredeten, dass ich mich am nächsten Tag mit ihr und Violet treffen würde.
Ich klopfte bei den Whites an und bat Elspeth, ihrer Mutter auszurichten, dass ich den Abend über fort sein würde. Als ich losfuhr, bemerkte ich zu meiner Erleichterung, dass der dunkelgraue Humber vor dem Haus stehen blieb, statt mir zu folgen. Ich ging allerdings davon aus, dass meine Abfahrt bemerkt und über Funk weitergegeben wurde.
Ehe ich nach Norden und aufs Land fuhr, hielt ich an einer Telefonzelle und rief Murphy an.
»Haben Sie gehört, was passiert ist?«, fragte ich.
»Dass Sie diesen Arsch aus dem Scheißfenster geworfen haben? Ich glaube, den Scheiß hab ich irgendwo nebenbei gehört. Ich dachte, Sie wären so scheißdiskret? Wer war der Scheißer?«
»Der gleiche Kerl, von dem ich Ihnen und Jonny Cohen erzählt habe. Der mich im Nebel angegriffen hat.«
»Was wollen Sie damit sagen? Dass Sie Ihr Scheißgeld haben wollen?«
»Nein. Vielleicht. Ich glaube nicht. Hören Sie, ich bin mir nicht sicher, ob dieser Kerl der sogenannte ›Junge‹ Strachans gewesen ist. Es sei denn, Gentleman Joe hielt ihn sich für Lektionen in Vortragskunst. Er war Engländer.«
»Ja? Ist ja schon Grund genug, ihn aus dem Scheißfenster zu schmeißen!«
»Hören Sie, Mr. Murphy, könnten Sie Jonny Cohen benachrichtigen? Ich muss mich noch um etwas anderes kümmern, das uns vielleicht verrät, ob Strachan noch lebt oder nicht. Ich werde auch versuchen herauszufinden, ob der Kerl der ›Junge‹ gewesen ist.«
***
Nachdem ich aufgelegt hatte, fuhr ich aus Glasgow hinaus. Der Himmel lag stumpf und schwer über allem, und trotzdem fühlte es sich gut an, die Stadt zu verlassen und auf offenes Land zu kommen. Ich vermutete, dass zu dieser späten Stunde niemand mehr in der Pförtnerloge des Guts wäre, sodass ich einer weiteren Begegnung mit der sexuell reprimierten, tweedgekleideten Miss Marple entginge. Als ich das Gut erreichte, waren die Tore jedoch zu und mit Vorhängeschlössern gesichert.
Ich rief mir die grobe Karte des Gutes ins Gedächtnis und fuhr die schmale Landstraße weiter hinauf. Eine hohe Trockensteinmauer, die am Straßenrand entlanglief, markierte die Grenze des Anwesens. Ich fand schließlich einen Seitenweg, der zu einem nicht mehr benutzten Eingang führte, doch dieser war zugemauert. Immerhin war der Atlantic von der Straße runter und hinreichend getarnt, und ich entschied mich, meine Wildlederschuhe und meinen Hahnentrittanzug aufs Spiel zu setzen und die Mauer hochzuklettern. Auf der anderen Seite ließ ich mich auf Mulch aus altem Laub, Zweigen und kleinen Ästen fallen. Vor mir war nichts als dichtes Nadelgehölz, in das so spät am Abend kein Licht mehr vordrang, aber ich vermutete, dass ich, wenn ich geradeaus ging und mir nicht den Knöchel brach, auf den Weg treffen musste, der vom Pförtnerhäuschen zu Dunbars Cottage führte.
Den Gang durch den Wald empfand ich nicht als vergnüglich. Ich ertappte mich, wie ich auf jedes Knacken und Rascheln, jeden Vogelruf horchte, während mir das Herz bis zum Hals klopfte. Hier und jetzt gab es natürlich nichts zu
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