Lenobias Versprechen: Eine House of Night Story (German Edition)
hätte sich keine Sorgen machen müssen. Die beiden Percherons schienen ebenso neugierig auf sie zu sein wie umgekehrt. Als sie ihnen die Hand hinhielt, bliesen beide zutraulich in ihre Handfläche. Sie kraulte ihnen die breiten Stirnen, küsste sie auf die weichen Mäuler und kicherte mädchenhaft, als die beiden an ihrem Haar zu knabbern versuchten.
Das Kichern brachte ihr die Erkenntnis – dass sie tatsächlich einen Augenblick des Glücks erlebte. Und das war etwas, was sie kaum jemals wieder für möglich gehalten hätte. Oh, natürlich hoffte sie, irgendwann die Sicherheit und Zufriedenheit empfinden zu können, die das Leben als legitime Tochter eines Herzogs mit sich bringen würde. Sie hoffte auch, eheliches Einvernehmen, wenn nicht gar Liebe, für Thinton de Silegne empfinden zu können, den Mann, der Cécile und somit ihr vom Schicksal zum Gatten bestimmt war. Aber Glück? Nein, Glück hatte sie nicht erwartet.
Lächelnd ließ sie eines der Pferde am Spitzensaum ihres Ärmels lecken. »Wo Pferde sind, ist auch Glück«, erklärte sie dem Wallach.
Sie stand zwischen den beiden Percherons und empfand diesen unverhofften Glücksmoment, als mit einem Mal mit einem dumpfen Aufprall eine riesige schwarzweiße Katze vom Deckel der nächsten Kiste direkt vor ihre Füße sprang.
Lenobia und die Pferde zuckten zusammen. Die beiden Wallache hoben die Köpfe und beäugten die Katze wachsam.
»Ich weiß«, sagte Lenobia zu ihnen. »Ich bin ganz eurer Meinung. Das ist die größte Katze, die ich je gesehen habe.«
Als wäre dies ihr Stichwort, warf sich die Katze auf den Rücken, rieb den Hinterkopf an der Bodenplanke, blinzelte Lenobia unschuldig aus grünen Augen an und begann außerordentlich tief zu schnurren.
Lenobia sah die beiden Wallache an. Sie blickten zurück. Lenobia zuckte mit den Schultern. » Oui , offenbar will sie am Bauch gekrault werden.« Lächelnd beugte sie sich hinunter.
»Würde ich nicht tun, Ihr da.«
Ihre Hand zuckte zurück, und sie erstarrte. Ihr Herz pochte, sie fühlte sich ertappt und schuldig. Als sie in dem Mann, der aus den Schatten trat, den Mulatten Martin erkannte, der ihnen vor einigen Tagen ihre Kabinen gezeigt hatte, stieß sie einen kleinen erleichterten Seufzer aus und versuchte, weniger schuldbewusst und dafür damenhafter zu wirken.
»Sie will am Bauch gekrault werden«, sagte sie.
»Er, Mademoiselle«, verbesserte Martin mit einem schiefen Lächeln. »Das macht er gern, Odysseus. Ist seine Lieblingslist.« Er zog einen langen Halm aus einem der Luzerne-Ballen in der Nähe und kitzelte den dicken Kater damit am Bauch. Odysseus schlug prompt die Krallen in den Halm und biss ihn durch. Dann sprang er auf und verschwand wie der Wind zwischen der Ladung. »Ist sein Spiel. Er spielt harmlos, lockt Euch an, dann greift er an.«
»Ist er wirklich bösartig?«
Martin zuckte mit den breiten Schultern. »Nicht bösartig, glaube ich. Nur Spitzbube. Aber was kann ich sagen – ich bin kein kluger Gentilhomme oder eine große Dame.«
Fast hätte sie unwillkürlich geantwortet: »Ich auch nicht!« Doch zum Glück sprach Martin bereits weiter. »Mademoiselle, hier ist kein Ort für Damen. Eure Kleider werden schmutzig und Euer Haar zerzaust.« Obwohl Martin respektvoll und angemessen sprach, kam ihr irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck – oder seinem Ton – abschätzig und herablassend vor. Das machte sie wütend. Nicht deshalb, weil sie angeblich zu einer weit über ihm stehenden Klasse gehörte. Sondern deshalb, weil sie eben keine dieser reichen, verwöhnten, snobistischen Demoiselles war, die auf andere herabsahen und selbst keine Ahnung von harter Arbeit hatten. Sie war nicht Cécile Marsan de la Tour d’Auvergne.
Sie kniff die Augen zusammen. »Ich mag Pferde.« Zur Bekräftigung trat sie wieder zwischen die beiden Grauen und tätschelte ihnen den Hals. »Und Katzen mag ich auch – sogar Spitzbuben. Und es ist mir egal, wenn meine Kleider dreckig und meine Haare zerzaust sind.«
In seinen ausdrucksvollen grünen Augen sah sie Überraschung, aber ehe er etwas erwidern konnte, drangen von oben Männerstimmen zu ihnen hinab.
»Ich muss zurück. Ich darf mich nicht –« Sie hielt rechtzeitig inne, ehe sie ›vom Bischof erwischen lassen‹ sagen konnte. Stattdessen schloss sie hastig: »– dabei erwischen lassen, wie ich mich auf dem Schiff herumtreibe. Ich muss in meine Kabine. Ich – ich war krank.«
»Ich weiß noch«, sagte Martin. »Ihr wart kaum
Weitere Kostenlose Bücher