Lenobias Versprechen: Eine House of Night Story (German Edition)
gefallen.
Da wurde ihr Arm von einer starken, kühlen Hand ergriffen, und sie sah in ein Gesicht von beinahe überirdischer Schönheit, mit Augen so blau wie der Frühlingshimmel und darüber einem eintätowierten feinen Muster, zart wie Federn.
Die Frau lächelte entschuldigend. »Verzeih, Tochter. Meine Katze ist ein rücksichtsloser Gauner. Er hat schon einige Leute umgeworfen, die größer und gesünder waren als du.«
»Ich bin stärker, als ich aussehe«, hörte Lenobia sich keuchen.
»Es freut mich, das zu hören.« Damit ließ die Frau Lenobias Ellbogen los und ging ihrer Wege. Ein großer graugetigerter Kater folgte ihr mit streitlustig zuckender Schwanzspitze. Als sie an der Gruppe der Mädchen vorüberkam, blickte sie kurz zur Äbtissin hinüber. » Bonsoir , Hochwürdige Frau.«
» Bonsoir , Priesterin«, erwiderte diese freundlich.
Während die schöne Fremde sich die Kapuze ihres schwarzen Seidenumhangs in die Stirn zog und mit den Schatten verschmolz, rief der Bischof aus: »Dieses Wesen ist ein Vampyr!«
» Oui , so ist es«, bestätigte die Äbtissin.
So elend ihr war, durchfuhr Lenobia ein überraschter Ruck. Natürlich hatte sie schon von Vampyren gehört und wusste, dass in der Nähe von Paris eine ihrer Hochburgen lag, doch in Évreux gab es keine, und auch im Château de Navarre waren niemals welche zu Gast gewesen, wie das bei reicheren und kühneren Adeligen manchmal der Fall war. Flüchtig wünschte sich Lenobia, sie hätte sich die Vampyrin genauer angesehen. Doch die Stimme des Bischofs unterbrach ihre Gedanken.
»Ihr duldet die Anwesenheit solcher Kreaturen in Eurer Mitte?«
Die freundliche Miene der Äbtissin wankte nicht. »In diese Stadt kommt allerlei Volk, Euer Exzellenz. Nouvelle-Orléans ist die Eingangspforte in eine riesige neue Welt. Mit der Zeit werdet Ihr Euch an unsere Sitten gewöhnen. Was die Vampyre angeht, habe ich gehört, dass sie sich mit dem Gedanken tragen, hier ein House of Night zu errichten.«
»So etwas wird die Stadt doch sicherlich nicht gestatten.«
»Es ist wohlbekannt, dass an Orten, die über ein House of Night verfügen, auch Kultur und Schönheit anzutreffen sind. Dagegen hätten unsere Stadtväter gewiss nichts.«
»Ihr klingt, als gefiele Euch die Idee.«
»Mir gefällt die Idee der Bildung. Im Kern ist jedes House of Night eine Schule.«
»Woher wisst Ihr so viel über Vampyre, Hochwürdige Frau?«, fragte Simonette. Im nächsten Moment schien ihre eigene Frage sie zu erschrecken. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Die Äbtissin lächelte nachsichtig. »Deine Unhöflichkeit ist ganz verständliche Neugier. Meine ältere Schwester wurde Gezeichnet und wandelte sich zum Vampyr, als ich noch ein Kind war. Sie besucht noch immer manchmal das Haus meiner Eltern bei Paris.«
»Blasphemie«, murmelte der Bischof finster.
Unbeeindruckt zuckte die Äbtissin mit den Schultern. »Die einen sagen so, die anderen so.« Doch bei Lenobias nächstem Hustenanfall wandte sie sich dieser zu. »Kind, mir scheint, du bist nicht genug bei Kräften, um den restlichen Weg zu unserem Konvent zu bewältigen.«
»Es tut mir leid, Hochwürdige Frau Äbtissin. Sicher wird es mir besser gehen, wenn ich einen Augenblick raste.«
Doch plötzlich schienen Lenobias Beine zu Wasser zu werden, und sie brach mitten auf der Straße zusammen.
»Euer Exzellenz! Bitte bringt sie rasch hierher!«, befahl die Äbtissin.
Lenobia zuckte zurück, als der Bischof sich über sie beugte, doch er lächelte nur und nahm sie in die Arme wie ein kleines Kind. Dann folgte er der Nonne in den langen schmalen Stall zwischen zwei bunt bemalten Häusern, über deren ganze Front im ersten Stock reichverzierte Balkone verliefen.
»Hier, Euer Exzellenz. Auf diesem Heuballen kann sie rasten.«
Der Bischof zögerte, als wollte er sie nicht loslassen, doch die Äbtissin wiederholte: »Legt sie hierhin.«
Endlich gab die Umklammerung seiner Arme sie frei, und sie kroch sofort noch weiter zurück, wobei sie ihren Mantel achtsam mitzog, damit nur ja nichts mehr den Bischof berührte, der viel zu nahe vor ihr stehen geblieben war.
Als sie dann tief Atem holte, schienen der Duft und die Geräusche der Pferde sie auf beinahe magische Weise zu trösten, und ein wenig von dem Brennen in ihrer Brust verschwand.
Die Äbtissin beugte sich über sie und strich ihr noch einmal das Haar aus der Stirn. »Mein Kind, ich werde die anderen zum Konvent bringen. Dann werde ich dich von unserer
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