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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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der Dunkelheit hatte er mich abgepaßt, nicht weit von meiner Tür – vielleicht hätte ich ihn nicht hereingelassen, wenn er nur geklopft hätte –, er war einfach aus der Thujahecke getreten und hatte meine Hand genommen und gebettelt: Bring mich unter, Bruno, nur eine Nacht, aus alter Freundschaft und wegen der Narbe auf meinem Rücken.
    Ich merkte gleich, daß er in Not war, und nahm ihn mit zu mir, wo er kein Licht gemacht haben wollte, wo er sich in eine Ecke auf den Fußboden setzte, die Beine weggestreckt, den Kopf an die Wand gelehnt. Zuerst sagte er: Das werde ich dir nie vergessen, Bruno, und er sagte auch: Auf dich war noch immer Verlaß, und dann aß er von dem Brot, das ich übrig hatte, dankbar, ohne mehr zu verlangen. Sie hatten ihn irrtümlich verhaftet und irrtümlich verurteilt: das erzählte er. Schuld an allem hatte allein Frau Holgermissen, die jeder bei uns kennt, obwohl kaum einer sie gesehen hat, denn das schöne große Haus, in dem sie allein mit ihrer schwermütigen Tochter wohnt, verläßt sie nur ganz selten.
    Frau Holgermissen läßt alles für sich machen, einkaufen und kochen, Wäschewaschen, alles, viele aus Hollenhusen haben schon etwas für sie gemacht, einer der letzten war Heiner Walendy. Der bot sich an, die uralte Buche zu fällen, deren Krone die Zimmer verdunkelte und deren Wurzeln das Mauerwerk bedrängten; gemeinsam mit einem anderen kappte er Spitze und Äste, legte den Stamm um, grub den Stubben aus, und das Holz, das zersägten und zerhackten sie in gerechte Stücke für den Kamin. Als er mit seiner Arbeit fertig war, wurde Heiner Walendy zum ersten Mal ins Haus gebeten, er war ganz sprachlos angesichts der Dinge, die er da zu sehen bekam, sogar einen kleinen Elefanten aus Silber hat er da entdeckt, jedenfalls stand er herum, bis Frau Holgermissen kam und ihm einen Umschlag gab mit seinem Lohn.
    Es war nicht der Lohn, den sie ausgemacht hatten, zumindest erinnerte sich Heiner Walendy, daß ihm mehr versprochen worden war, so ging er an einem Abend hin, um sich den Rest zu holen – daß Frau Holgermissen und ihre Tochter da schon zu Bett gegangen waren, das wußte er nicht. Nichts, man wollte ihm nichts zulegen für seine Arbeit, doch da er ein Recht auf mehr hatte, suchte er einfach nach der Kassette, stöberte alles durch, und um das in Ruhe tun zu können, band er Frau Holgermissen und deren Tochter an ihren Betten fest und nahm sich, was ihm zustand.
    Daß sie ihn bereits auf dem Hollenhusener Bahnhof verhaften würden, damit hatte er überhaupt nicht gerechnet; sie nahmen ihm die Fahrkarte ab und das Geld und noch ein paar Sachen, die er bei sich hatte und von denen er sich gar nicht erklären konnte, wie die in seine Taschen geraten waren; Heiner Walendy schob es auf seine Erregung und auf seine Eile, daß er eine Brosche und den kleinen silbernen Elefanten eingesteckt hatte, gern hätte er die von sich aus zurückgegeben, aber sie nahmen seinen Vorschlag nicht an und brachten ihn nach Schleswig. Dort wurde er irrtümlich verurteilt. Zu seinem Glück wurde er mehrmals in der Woche zur Feldarbeit abgestellt, sein Aufseher war schon alt, es kostete nicht sehr viel Mühe, hinter seinem Rücken zu verschwinden und zum Bahndamm zu fliehen, wo alleweil langsame Güterzüge vorbeiruckelten. So etwas kann einem passieren, sagte Heiner Walendy, und er gab mir den Rat, nie etwas für Frau Holgermissen zu machen.
    Er war unglücklich, er war erschöpft, und er tat mir so leid, daß ich ihn in meinem Bett schlafen lassen wollte, aber er weigerte sich und konnte mir nicht genug danken für meine Bereitschaft, ihn überhaupt aufzunehmen für eine Nacht. Er schlief auf dem Fußboden, in dem feuchten Zeug, das ihm zu klein war und ihn überall schnürte und kniff, und ich war nicht überrascht, daß er sich am nächsten Morgen elend fühlte und mich darum bat, ihn auch noch tagsüber zu verstecken; am Abend, versprach er, wollte er mich verlassen. Also schloß ich ihn ein, zweigte ihm etwas ab von meiner Mittagsportion, war ihm nicht böse, als er mir gestand, daß er von meinen getrockneten Apfelringen genommen hatte, und als es Abend war, brachte ich ihm Brot und Frikadellen für den Weg. Um sich hinauszuwagen, dazu ging es ihm aber noch nicht gut genug, so behielt ich Heiner Walendy bei mir und erlaubte ihm, in meinem Bett zu schlafen, er war mit allem zufrieden, nur zu essen hätte er gern ein bißchen mehr gehabt.
    An einem Sonntag kam Max; er kam wie vorausgesagt, er wollte

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