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Lenz, Siegfried

Lenz, Siegfried

Titel: Lenz, Siegfried Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Exerzierplatz
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einen zu mir schicken, einen vom Gericht, hoffentlich fängt der mich bloß nicht in den Quartieren ab, wo ich allein bin. Am liebsten möchte ich jetzt zu mir und abschließen und nicht zu Hause sein, so könnte keiner einen Bericht über mich machen. Nur noch die zweite Portion, und dann sollen sie sehen, wo sie mich finden. Wer in einem Bericht steht, der bleibt in einem Bericht, wer einmal aufgefallen ist, wird bei nächster Gelegenheit als erster auffallen, darum werde ich mich nicht zu erkennen geben und still sein.

Sie ist wieder da, die Feldmaus. Du glaubst wohl, ich schlafe, aber ich liege nur ganz still auf meinem Bett und denke nach, hab nur die Schuhe ausgezogen, die Rohlederstiefel, die dir ja auch von innen bekannt sind, im Mondlicht bist du einmal kopfüber hineingeplumpst, im hellen Mondlicht. Daß du dich schon am Tag blicken läßt, beweist mir, wie hungrig du bist oder wie übermütig, vor der Dämmerung bist du sonst nie herausgekommen aus deinem Versteck hinter der Fußleiste. So spitz, so lautlos, und dieses Huschen, wie aufgezogen: das kannst du nur von deiner Vorgängerin haben, die nie enttäuscht war, sondern so lange herumhuschte, bis sie etwas fand, ein Krümelchen auf der Fensterbank, unterm Tisch. Ihre Schreckhaftigkeit verlor sie nie, beim kleinsten Geräusch witschte sie hinter die Fußleiste, wartete dort ein Weilchen und kam schnuppernd zurück, manchmal, wenn ich ihr ein Stück Brotrinde hinlegte oder eine halbe Pellkartoffel, brachte sie ihre ganze Familie mit, war das ein Geschiebe und Piepsen und Tanzen. Sobald alles weggeputzt war, tanzte die ganze Familie für mich.
    Für dich hab ich nichts, ein paar Maiskörner vielleicht, ich werde sie dir vom Kolben lösen, nur renn nicht gleich weg, wenn ich mich bewege, wenn die Körner prasseln und springen, die sind bestimmt etwas für dich. Das hab ich mir gleich gedacht: schreckhaft wie alle, aber jetzt bin ich wieder still, und du kannst ruhig hervorkommen.
    Morgen oder übermorgen, jedenfalls bald werde ich mir einen Vorrat anlegen, im Gestell hinter dem Vorhang werde ich alles verwahren, dann kann ich es lange hier aushalten. Ich werde zu Kaufmann Tordsen gehn, und wenn er sich noch so wundert: ich werde soviel kaufen, wie ich wegtragen kann, das werde ich. Die Dauerwurst, deren Haut schon schrumplig geworden ist vom vielen Schwitzen. Ein Glas mit Sauerfleisch und ein Glas mit Aal in Gelee. Eine große Tüte mit Rosinen und Knäckebrot und einen Tortenboden aus Mürbeteig. Äpfel werde ich kaufen, ein ganzes Säckchen voll, bestimmt auch Tannenhonig und eine Dose Makrele in Tomatensauce, und was ich gewiß nicht vergessen werde: Käse und Lakritz. Am besten werde ich ganz früh zu Tordsen gehen, warten, bis er aufschließt, und alles zusammenkaufen, bevor andere Kunden kommen.
    Siehst du, da bist du schon wieder, nun such die Körner und probier sie mal, so mehlig und süß schmeckt der Hollenhusener Mais. Näher zum Bett, komm noch näher, und husch nicht soviel, warum lauschst du jetzt, hast du Angst, vor mir brauchst du dich doch nicht zu verstecken.
    Da will einer zu mir, vielleicht schleicht er sich an, sie hat längst die Schritte gehört und ist hinter die Fußleiste geflitzt und wartet und ist still. Max? Was will Max jetzt von mir, er kommt direkt auf meine Tür zu, gleich wird er klopfen, meinen Namen rufen, durchs Fenster gucken wird er nicht, das hat Max noch nie getan, aber ich werde ihn nicht hereinlassen; denn er will mir sicher einen neuen Vorschlag machen zur Güte, und wenn nicht dies, dann will er nur wieder Fragen stellen, hundert Fragen, die ich ja doch nicht so beantworten kann, wie er es möchte. Er klopft und wartet mit gesenktem Gesicht, ich werde ihm nicht öffnen. Wie leise er ruft, fast als fürchtet er, mich zu stören; Joachim, der würde mit der Faust gegen die Tür schlagen und mir befehlen, sofort aufzumachen, Max niemals. Er zuckt schon die Achseln, wendet sich schon ab – geh ruhig zu den Quartieren, Bruno ist diesmal nicht zu Hause, ihn wirst du nicht überreden, wie du so viele andere überredet hast.
    Einmal ist es ihm gelungen, sogar Heiner Walendy zu überreden, hier bei mir, an einem Abend, als Blitze über den Quartieren rissen und ein Sturzregen niederging, der Ritzen und Löcher in meinem Teerpappdach fand; es tropfte auf einmal überall, und wir mußten Gefäße unter die Tropfstellen bringen, um das Wasser aufzufangen. Heiner Walendy hatte sich schon einige Tage bei mir versteckt. In

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