Lenz, Siegfried
fürchtete, die Federkugel in die Hand zu nehmen, hab ich sie auf die Bettdecke gelegt, und erst nach langem Äugen hat sie sie mit ausgestrecktem Finger berührt und dann sanft gestreichelt und schließlich mit beiden Händen aufgenommen. Dann hat sie mich leise gefragt, ob ich alle Federn selbst gefunden hätte, und als ich darauf nur nickte, hat sie sich schnell aufgerichtet und sich an mich gepreßt, danach hat sie eine Hand auf meine Brust gelegt und mich verwundert angesehen. Was ich da an der Lederschnur trug, wollte sie dann wissen, was da an meiner Brust baumelte, und ich hab ihr die ovale Erkennungsmarke gezeigt, die ich beim Steinesammeln auf unserm Land gefunden hatte, auf dem alten Exerzierplatz. Ein Soldat hat sie verloren, sagte ich, hier stehen alle seine Kennziffern drauf. Darauf hat sie ungläubig gelächelt und gleich wieder mein Geschenk gestreichelt. Das ist ein schönes Geschenk, Bruno, hat sie gesagt, ich werd es immer behalten. Den ganzen Tag wollte sie die Federkugel auf ihrem Platz am Tisch stehen haben.
Es war der Tag, an dem Elma kam, Elma Tordsen vom Kolonialwarenladen, Inas Freundin; auch Rolf kam zur Geburtstagsfeier, der Renner, der so oft neben dem anfahrenden Zug herlief, alle waren Fahrschüler, gingen in eine Klasse, sie kannten sich gut, wußten alles über einander, eine Anspielung reichte aus, damit sie lachen konnten. Am Tisch bemerkten sie mich kaum, selbst als Ina ihnen die Federkugel zeigte, blickten sie nur kurz und gleichgültig zu mir herüber und fuhren fort, ihre Lehrer nachzumachen und über andere Schüler zu sprechen, auch was auf einer Klassenreise geschehen war, mußte noch einmal in Stichworten verhandelt werden, und während sie redeten, trugen der Chef und ich, von Dorothea blickweise ermuntert, einen Wettkampf aus, den ich gewann: zum Schluß hatte ich zwei Stücke Streuselkuchen mehr gegessen als er.
Nach dem Geburtstagskaffee gingen wir auf den Hof hinaus, ich durfte zusehen, wie sie mit Rolfs Luftpistole auf eine Scheibe schossen, rot und grün befiederte Bolzen, alle waren unzufrieden mit ihren Schüssen, nur der Chef nicht, er traf sechsmal und ließ uns allein. Am zweitbesten schoß Elma, sie hielt die Pistole mit beiden Händen und stand breitbeinig da und zielte so lange, daß die andern schon ungeduldig wurden, und wenn sie den Schuß endlich abgefeuert hatte, hüpfte sie ein paarmal auf der Stelle. Joachim, der traf immer nur die Stalltür, und ein Schuß von Ina verirrte sich sogar ins Dach.
Als Rolf sich lebende Ziele wünschte und mit kleinen Kugeln auf die Blumen des Staudengartens schoß, auf Astern und Rosen, versuchte Elma, ihm die Luftpistole wegzunehmen, sie zerrte, sie hängte sich an ihn und betrommelte seinen Rücken, doch er schüttelte sie immer wieder ab, und auf einmal standen wir alle ganz still und blickten nur hoch, denn um das Dach herum segelte in böigem Wind Ak-Ak, der alte Wilderpel, den ich mit Rübenschnitzeln gezähmt hatte in Monaten. Er suchte mich wohl, kurvte tiefer herab und segelte knapp über unseren Köpfen hinweg zur sumpfigen Wiese hinterm Kollerhof, zu den versuppten Gräben, wo ich ihm regelmäßig Futter hinstreute; dort landete er und hatte so viel Übergewicht, daß er sich fast überschlug. Ak-Ak hatte sich in einem Tellereisen gefangen, das gewiß noch der alte Magnussen ausgelegt hatte, der Schnabel war nur angesplittert, nicht gebrochen, und nachdem ich den Erpel befreit hatte, fing er gleich an, sich zu putzen. Kein einziges Mal hab ich versucht, ihn zu greifen, zu streicheln, wenn ich mit Futter kam, hab ich immer zu ihm gesprochen, er ging hin und her, flog kurz weg und kam wieder, und eines Tages vergaß er seine Scheu und überquerte die Linie, die er wohl für seine Sicherheit brauchte; zuletzt wurde er so zutraulich, daß er um mich herumschwänzelte, sobald ich mich hinhockte und ruhig verharrte.
Mit gerecktem Hals wartete er am Weidengebüsch auf mich, ich flitzte in den Stall, grabschte mir eine Handvoll Rübenschnitzel, und als ich zu ihm lief, watschelte er mir schon entgegen, grüßte wie immer mit seinem fordernden Ak-Ak. Ina und die andern folgten mir. Ich kniete mich hin und machte ihnen ein Zeichen, nicht näher zu kommen, und sie hielten sich daran – bis auf Rolf; der rief mir ein paarmal etwas zu, scharf, befehlsartig, aber ich konnte ihn nicht verstehen, da der Wind seine Worte mitnahm. Und dann war Ak-Ak dicht vor mir und machte den Hals lang und schnappte nach den Schnitzeln.
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