Leon, Der Slalomdribbler
Augen des Dicken Michi verengten sich, wenn das überhaupt möglich war. Ich hörte nur noch seinen rasselnden Atem. Dann antwortete er: „Ich weiß gar nicht, was Angst ist.”
Er sagte es so, dass ich in diesem Moment ganz genau wusste, was dieses Wort heißt. Ich versuchte es runterzuwürgen, doch es gelang mir nicht ganz. Ich spürte sogar, wie meine Knie zu zittern begannen. Da lachte der Dicke Michi zum Glück: „O.k., abgemacht! Wir sehen uns in zwei Wochen! Hier!”
Ich schaute ungläubig vom Dicken Michi zu Fabi und Marlon. Auch die waren fassunglos. Dann riskierten wir keine Sekunde mehr. Wir nahmen unsere Beine in die Hand und rannten auf und davon. Wir rannten an Willis Kiosk vorbei, durch das Tor im Holzzaun hindurch und dabei jauchzten und jubelten wir, als hätten wir das Spiel in zwei Wochen schon längst gewonnen.
Das Herz in der Hose
Vor dem Bolzplatz brachen wir lachend zusammen.
„Verflixte Hühnerkacke!”, lachte Raban.
„Ich geb dir zwei Wochen, du Schlabbersack!”, ahmte Fabi mich nach und Felix, dessen Asthma wie durch ein Wunder verschwunden war, setzte den Satz begeistert fort: „Solange kannst du mit deinen Dumpfbacken träumen, dass das hier dein Bolzplatz ist!”
„Oh, Mann, das war wild!”, lachte Juli kopfschüttelnd.
„Ja, echt wild!”, lachte Joschka und Raban brachte das auf den Punkt, was wir alle dachten:
„Verflixte Hühnerkacke! Die werden ihr blaues Wunder erleben! Das sag ich euch!”
Doch Maxi und mein Bruder Marlon sagten nichts. Sie
schauten nur durch das Tor im Holzzaun auf den Bolzplatz zurück, wo die Unbesiegbaren Sieger mit ihrem Training begannen.
Gerade lief der Dicke Michi an und donnerte das Leder auf das Tor. In ihm flog Krake, streckte seine Tentakelarme aus und fing den Ball wie eine Feder.
„Hey Krake”, rief Raban, „was war’n das für’n Eierball? Den hätt’ ja selbst ich halten können!”
Krake und der Dicke Michi schauten zu uns herüber. Sie sagten nichts. Krake rollte den Ball nur zum Dicken Michi zurück und der schoss. Doch dieses Mal schoss er nicht auf das Tor, er schoss den Ball in unsere Richtung, wo er scharf gegen den Holzzaun schlug, dass eines der Bretter zerbarst.
Maxi „Tippkick” Maximilian, der Mann mit dem härtesten Schuss auf der Welt, schluckte respektvoll. Wir anderen waren ganz still. Nur Raban sagte: „Verflixte Hühnerkacke!”
Doch ihm saß, wie allen von uns, das Herz längst in der Hose. Wie sollten wir gegen diese Kerle gewinnen? Der Winter steckte uns noch in den Knochen. Wir hatten seit Monaten nicht mehr zusammen gespielt und jetzt hatten wir noch nicht einmal eine Wiese zum Üben. Der Dicke Michi und seine Unbesiegbaren Sieger konnten dagegen täglich trainieren und sie waren nicht nur vier bis fünf Jahre älter als wir.
Jeder von ihnen besaß einen Ruf, der einem das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Und offensichtlich hinderte sie ihre Blödheit auch nicht daran, Fußball zu spielen.
Das Lachen war uns vergangen. Felix hustete wieder und wir setzten uns, weil uns nichts Besseres einfiel, mit hängenden Köpfen auf den Bordsteinrand. Dort schwiegen wir weiter, bis ich es nicht mehr aushalten konnte. Doch mein Bruder Marlon kam mir zuvor.
„So geht das nicht!”, sagte er. „Wir müssen was tun.”
„Ach ja, und was?”, fragte Juli. „Kannst du vielleicht einen zweiten Bolzplatz herzaubern?“
Marlon zuckte nur mit den Schultern: „Wiesen gibt es genug. Wir brauchen was anderes.”
„Ach ja, und was?”, fragte ich.
„Einen Trainer”, sagte Marlon ganz ruhig. „Wenn wir die Mistkerle schlagen wollen – und das müssen wir wohl nach der Show, die du heute hier abgezogen hast –, wenn wir diese Mistkerle schlagen wollen, muss uns jemand trainier’n.”
Wir schauten ihn alle durch die Bank verdutzt an. Das war typisch Marlon. Wenn er ein Haus bauen müsste, würde er mit dem Dachdecken anfangen.
„Glaubst du nicht, dass wir im Moment ein paar andere Probleme haben?”, fragte ich Marlon gereizt und der musterte mich von oben herab.
„Wenn du mich fragst, haben wir im Moment nur ein einziges Problem: Wir haben Schiss. Wir machen uns vor Angst in die Hosen.”
„Klugscheißer!”, frotzelte ich, „Dass ich nicht lache!”
Und Fabi sprang mir zur Seite: „Dein Bruder Marlon ist wirklich die Pest!”
Doch insgeheim wussten wir beide, dass Marlon Recht hatte. Wir wollten es nur nicht zugeben müssen.
„Okay!”, spottete Marlon, „Dann bleibt ruhig weiter
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