Leon, Der Slalomdribbler
Joschka! Ich weiß, dass ihr euch da oben versteckt und ich zähle bis drei. Dann seid ihr bei mir in der Küche!”
Entschlossen stapfte sie in die Küche und zählte langsam und laut:
„Eins!”
„Zwei!”
„Und drei!”
Doch im Baumhaus rührte sich nichts. Stattdessen meldete sich wieder der Kassettenrekorder.
„Liebe Mama, auch wenn du bis hundert zählst, werden wir nicht in die Küche kommen.”
Julis und Joschkas Mutter wirbelte herum und mit einem „Na wartet! Jetzt werdet ihr was erleben!” stürzte sie in den Garten hinaus und kletterte das Baumhaus hoch. Doch das war gar nicht so einfach. Das Baumhaus war nicht nur von Kindern sondern auch für Kinder gebaut und es war dreistöckig. Julis und Joschkas Mutter zwängte sich durch jedes Stockwerk hindurch, stieg die viel zu schmalen Leitern hinauf, balancierte über die viel zu schmalen Bretter, die die einzelnen Terrassen verbanden und jedes Mal, wenn sie sich anstieß, aufratschte oder einzwickte wiederholte sie nur: „Na wartet! Jetzt werdet ihr was erleben!”
Mit diesen Worten stieß sie die Tür zum obersten Stock-werk des Baumhauses auf und erstarrte. Vor ihr stand ein gedeckter Tisch und daneben warteten ihre Söhne. Joschka, der ihre Kochschürze trug, balancierte eine dampfende Pizza, und Juli hatte sich eine Krawatte über das T-Shirt gebunden und hielt eine Rotweinflasche in seiner Hand. Julis und
Joschkas Mutter schluckte das nächste „Na wartet! Jetzt werdet ihr was erleben!” herunter und ihre beiden Söhne grinsten sie an.
„Mama, du hast Recht, wir müssen über was reden!”, lächelte Juli und aus Joschka platzte es sofort heraus:
„Aber nicht über das, was du denkst!”
Ihre Mutter schaute von einem zum andern:
„Ach ja, und was denke ich nicht?”
„Das, was Leon gemacht hat”, sprudelte es weiter aus Joschka hervor. „Er hat’s dem Dicken Michi gezeigt und wir kriegen alle ein blaues Auge dafür. Vielleicht sogar mehr.
Deshalb müssen wir jeden Tag kräftig trainieren. Mit Willi, der zeigt uns die Tricks.”
Ihre Mutter setzte sich hin.
„Einen Moment mal. Wer ist der Dicke Michi?”, wollte sie wissen.
„Der, der den Hunden die Ohren abreißt!”, antwortete Joschka und Juli schenkte ihr ein.
„Jetzt trink und iss erst mal was”, lächelte er. „Und dann reden wir ganz in Ruhe über das Fußballverbot. Du willst doch nicht, dass wir den Bolzplatz an Darth Vader verlieren?”
Eine ähnliche Frage stellte ich meinem Vater. Wir saßen in der Hubertusstraße beim Abendbrot. Meinen Ball, den letzten Fußball, den die Wilden Kerle besaßen, hatte er nach seiner Rückkehr aus dem Büro sofort einkassiert und in sein Arbeitszimmer gebracht. Dort lag er immer noch eingeschlossen, in drei Minuten fing die Tagesschau an und mein Vater sagte immer noch nichts.
„Weißt du, Papa, du musst uns meinen Ball geben”, sagte ich mit einer sehr sachlichen Stimme. „Die Putzfrau ist nämlich immer noch krank und es gibt niemanden, der uns sonst aufschließen kann.”
Mein Vater verschluckte sich und schüttete sich das Bier über sein Hemd. „Wie bitte? Einen Moment! Kannst du das noch mal wiederholen?”, prustete er.
„Ich will nur, dass wir aufrichtig sind, weißt du? Nur wenn wir alle ganz ehrlich sind, können wir den Dicken Michi besiegen, und dafür brauchen wir unseren Ball.”
Ich grinste ihn an. Mein Vater schaute von mir zu meinem Bruder.
„Ehrlich und aufrichtig?”, fragte er ihn und Marlon grinste zurück.
„Wie ihr meint”, sagte mein Vater, „ihr kriegt euren Ball, aber nur unter einer Bedingung.”
Marlon und ich nickten eifrig.
„Ihr nehmt Socke mit zu eurem Training”, sagte er ebenso sachlich wie ich.
„Oh, nein, das geht nicht! Das ist gemein. Socke macht uns alles kaputt!”, protestierten wir beide, doch mein Vater blieb hart.
„,Aufrichtig und ehrlich‘, habt ihr gesagt”, schmunzelte er, „und Socke ist euer Hund. Ihr habt es mir damals versprochen, als ich Socke für euch gekauft hab. ,Wir werden uns jeden Tag um ihn kümmern‘, habt ihr gesagt.”
Wir waren still und schauten betreten zu Socke, der in seinem Korb lag und uns Schwanz wedelnd ansah. „Wie sollte das alles nur gut gehen?”, dachten Marlon und ich. „Socke würde jedem Ball nachrennen, als sei er ein Wolf und der Ball der leckerste Hase. Felix lag mit Fieber im Bett und Maxi ...? Mein Gott, was war mit Maxi?! Wie sollten wir ohne ihn gegen die Unbesiegbaren Sieger gewinnen?”
„Papa, wir
Weitere Kostenlose Bücher