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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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in der rechten Hand, aber kein Gepäck dabeihatte; also würde sie wohl nicht für längere Zeit verreisen. Unangenehm war ihm aber, dass sie ihm just in jenem Augenblick zuwinkte, als er seinerseits mit der roten Fahne der einfahrenden Lokomotive winken musste.
    »Salut, Léon!«, rief sie, während sie neben dem Zug hertrabte und an einem Wagen dritter Klasse die Tür öffnete.
    Oh, dachte Léon, sie kennt meinen Vornamen. Hatte er sich am Vorabend im Café du Commerce mit Namen vorgestellt? Nein, das hatte er nicht. Natürlich hätte er das tun müssen, das wäre der mindeste Anstand gewesen, aber er hatte es nicht getan. Also hatte sie seinen Namen sonstwie erfahren – vielleicht gar aktiv in Erfahrung gebracht? Oh, oh. Und dann hatte sie seinen Namen über Nacht nicht etwa vergessen, sondern im Gegenteil in Erinnerung behalten. Und jetzt hatte sie seinen Namen mit ihrem Mund, ihren Lippen und ihren weißen Zähnchen ausgesprochen, hatte seinen Namen mit dem Atem ihres Leibes in die Welt hinaus gehaucht. Oh, oh, oh.
    »Salut, Louise!«, rief er, als er die Fassung wiedererlangt hatte und sie eben dabei war, auf den haltenden Zug aufzuspringen. Léon stand im zischenden Dampf der Lokomotive und wartete die Minute ab, nach der er dem Lokomotivführer fahrplangemäß das Signal zur Weiterfahrt geben musste; dann rollte der Zug an, und Léon lief mit gestrecktem Hals die Fenster entlang, jener Tür entgegen, hinter der Louise verschwunden war. Weil aber der Bahnsteig zu tief und die Fenster zu hoch lagen, konnte er die Fahrgäste auf den gegenüberliegenden Bänken nicht sehen, und dann war der Zug weg und Louise fort.
    Léon sah dem roten Rücklicht hinterher, bis es hinter der Ziegelfabrik verschwunden war, und behielt noch lange die Rauchfahne der Lokomotive im Auge. Dann kehrte er mit seiner roten Fahne ins Büro zurück, wo ihm Madame Josianne Milchkaffee und zwei Butterbrote bereitgestellt hatte.
    Als er zur Mittagspause hinaus auf den Bahnhofplatz trat, sah er Louises Rad im Unterstand stehen. Er schaute sich um, ob er nicht beobachtet wurde, trat näher und betrachtete das Fahrzeug. Es war ein gewöhnliches altes Herrenfahrrad, das einmal schwarz gewesen sein mochte, und es hatte rostige Zahnkränze, eine ausgeleierte Antriebskette und abgewetzte Hartgummireifen, und die Nabenschaltung war kaputt und das Kettenschutzblech verbeult. Vorsichtig legte er die Hände auf die verbleichten, rissigen Ledergriffe an der Lenkstange, umfasste sie fest und hielt sich dann beide Handteller an die Nase, um einen Hauch von Louises Duft zu erhaschen; aber da war nur der Geruch von Leder und der seiner eigenen Hände.
    Er ging in die Hocke, unterzog das Kettenschutzblech einer Prüfung und stellte fest, dass es tatsächlich die Ursache des Quietschens sein musste. Er versuchte, die verbeulte Stelle mit beiden Daumen zurechtzubiegen, aber das gelang nicht, weil der dahinterliegende Kettenkranz dagegen hielt. Also holte er aus der Werkstatt zwei Schraubenschlüssel und einen Hammer, demontierte das Blech und klopfte es an der hölzernen Wand des Güterschuppens flach. Dann schmierte er die rostige Kette, schraubte das Blech wieder fest und drehte zur Probe eine Runde auf dem Bahnhofplatz.
     
    Als Léon nach dem Abendessen zur gewohnten Spazierfahrt in die Stadt aufbrach, trug er seine lange Hose, sein weißes Hemd und die graue Strickjacke, die seine Mutter ihm in ihren schlaflosen Nächten vor seinem Abschied gestrickt hatte. Er überquerte im Abglanz des sonnigen Tages den Bahnhofplatz, bog in die Platanenallee ein – und sah beim fünften Baum am rechten Straßenrand jemanden stehen.
    Sie lehnte an der Platane und trug ihre rotweiß gepunktete Bluse und ihren blauen Schülerinnenrock. Ihre linke Hand lag in der rechten Armbeuge, in der rechten hielt sie eine glimmende Zigarette. Ihre rechte Braue hatte sie weit in die glatte Stirn hinaufgezogen, die andere hing tief übers linke Auge hinunter. Ob dieser scharfe Blick wirklich ihm galt?
    »Grüß dich, Louise. Hast du auf mich gewartet?«
    »Ich warte nie auf jemanden, schon gar nicht auf einen wie dich.« Sie nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette. »Was du mir an kostbarer Lebenszeit stiehlst, wird dir am Ende deines Lebens abgezogen.«
    »Die paar Minuten ist mir das wert«, sagte Léon.
    »Mein Fahrrad quietscht nicht mehr«, sagte sie.
    »Das freut mich zu hören.«
    »Hat dich jemand gebeten, mein Rad zu reparieren?«
    »Man musste etwas tun«, sagte er. »Die

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