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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Bauern der Umgebung haben sich beklagt.«
    »Wieso?«
    »Du hast ihre Kinder aus dem Mittagsschlaf geweckt.«
    »Ach ja?«
    »Und den Kühen wurde die Milch in den Eutern sauer.«
    »Deswegen haben die Bauern der Umgebung den Morseassistenten am Bahnhof von Saint-Luc um Hilfe gebeten?«
    »Ich konnte nicht Nein sagen.«
    »Da werden die Bauern der Umgebung dem Morseassistenten aber dankbar sein.«
    »Das nehme ich an.«
    »Und ich?«
    »Was?«
    »Muss ich auch dankbar sein?«
    »Nein, wieso denn.«
    »Aber etwas gut hast du jetzt bei mir?«
    »Doch nicht für diese Kleinigkeit.«
    »Was willst du dafür – mir die Sternzeichen am Himmel erklären?«
    »Die kenne ich nicht.«
    »Mir deine Briefmarkensammlung zeigen?«
    »Ich habe keine Briefmarkensammlung.«
    »Was willst du dann?«
    »Ich habe nur das Blech zurechtgebogen.«
    »Und dafür willst du mir jetzt an den Hintern fassen?«
    »Nein. Aber ich kann das Blech gern wieder verbeulen.«
    »Das wäre mir recht.«
    »Fehlt dir das Quietschen?«
    »Den Leuten fehlt’s. Sie können mich nicht mehr hören, wenn ich komme. Und wenn ich plötzlich da bin, erschrecken sie sich.«
    »Ich werde dir eine Glocke an den Lenker schrauben, dann können dich die Leute wieder hören. Darf ich dich ein Stück begleiten?«
    »Nein.«
    »Wo gehst du hin – da lang oder da?«
    »Du jedenfalls gehst ins Commerce .«
    »Ja.«
    »Wie jeden Abend.«
    »Genau.«
    »Ganz der sesshafte Eisenbahner, vom Scheitel bis zur Sohle.«
    »Wohin bist du eigentlich heute mit der Bahn gefahren?«
    »Das geht dich einen Dreck an. Du jedenfalls gehst jetzt ins Commerce . Ich muss auch da lang. Stell dein Rad hier ab, ich begleite dich ein Stück.«
     
    Am nächsten Abend bei Sonnenuntergang wartete Louise wiederum an der fünften Platane auf Léon, am übernächsten Abend auch und am überübernächsten ebenfalls. Sie brauchten für die paar hundert Meter ins Städtchen jeweils mehr als eine Stunde, denn sie gingen langsam und blieben oft stehen, wechselten ohne Grund die Straßenseite oder gingen gar ein Stück zurück, und dabei sprachen sie ohne Unterlass. Sie redeten über Kleinigkeiten und Nichtigkeiten – über die Zigarren des Bürgermeisters und über den Postboten, der angeblich ein unehelicher Halbbruder des Bürgermeisters war, dann über den Bahnhof und Léons Kenntnisse in moderner Fernmeldetechnik, den alten Barthélemy und dessen Affenliebe zu seiner Josianne, über den bösen Kettenhund, der vor der Schlosserei die Schulkinder erschreckte und über die leckeren Eclairs au Chocolat in der katholischen Bäckerei; sie redeten über die Witwe Junod, die immer exakt an jenen Tagen zu ihrer Schwester nach Compiègne fuhr, an denen auch der Pfarrer in seelsorgerischer Mission nach Compiègne fuhr; sie redeten über die Sandgrube hinter dem Bahnhof, in der man versteinerte Haifischzähne aus dem Neolithikum finden konnte, über die schwarze Madonna in der Kirche und über das Wäldchen an der Route Nationale , in dem die wilden Kirschen bald reif sein mussten, und sie redeten über die Romane von Colette, die Louise alle gelesen hatte, Léon aber nicht.
    Vom dritten Abend an berichtete Louise über ihre Arbeit als Todesengel, und Léon schwieg, sah zu den Baumwipfeln hoch und hörte zu. Später erzählte er ihr von Cherbourg, vom Kanal, den Inseln und dem knallbunt lackierten Segelboot, und Louise schwieg, schaute ihm aufmerksam ins Gesicht und tat, als höre sie ihm zu.
    Als er sich aber einmal nach ihrer Herkunft erkundigen wollte, unterbrach sie ihn und sagte: »Keine Fragen. Ich frage dich nichts, und du fragst mich nichts.«
    »Einverstanden«, sagte Léon.
    Während sie so miteinander sprachen, hatte Léon die Hände in den Hosentaschen vergraben und spielte mit kleinen Kieseln Fußball. Louise rauchte eine Zigarette nach der anderen, gestikulierte mit den Händen und ging rückwärts vor ihm her, um zu sehen, ob er verstehe und auch gutheiße, was sie sagte. Léon verstand und hieß alles gut, was Louise sagte – und zwar einfach, weil sie es war, die es sagte. Er fand ihr Lachen schön, weil es ihr Lachen war, und er liebte ihren aufmunternd forschenden Blick, weil es ihre grünen Augen waren, die ihn so anschauten, als würden sie beständig fragen: Sag mir, bist du’s? Bist du’s wirklich? Die verirrte Haarsträhne quer über Louises Stirn fand er hinreißend, weil es ihre Haarsträhne war, und über die Pantomime, mit der sie den Bürgermeister beim Zigarrenanzünden nachahmte,

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