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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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tröstlicher war als jede Hoffnung auf ein wie auch immer geartetes Leben ohneeinander.
    Wohl konnte es noch aus diesem oder jenem Anlass geschehen, dass eines Tages sie vor ihm Reißaus nahm oder er vor ihr. Ein neuer Anfang aber, ein neues Leben würde das nicht sein, sondern nur die Fortsetzung ihres bisherigen Lebens unter neuen Bedingungen. Es gab kein zweites Leben, sie hatten nur dieses eine. Das mochte auf den ersten Blick niederschmetternd erscheinen, auf den zweiten aber war es der größtmögliche Trost; denn es bedeutete, dass ihr bisheriges Leben nicht gleichgültig, sondern unabdingbare Voraussetzung gewesen war für alles, was noch kommen würde.
    Léon war der Mann in Yvonnes Leben, und sie war die Frau in seinem, zu Eifersucht bestand kein Anlass mehr. Das würde sich auch dann nicht mehr ändern, wenn sie einander doch noch verlieren sollten infolge einer Katastrophe oder einer Altersdummheit. Es blieb einfach nicht mehr genug Zeit, mit jemand anderem in einem anderen Ehebett ebenso viele Nächte zu verbringen, wie sie schon miteinander verbracht hatten.
    Für Léon, der sich schon lange daran gewöhnt hatte, zwei Frauen zu haben – eine an seiner Seite und eine im Kopf –, änderte sich damit nicht viel; Yvonnes Seele aber fand nun endlich zum Frieden. Auch für sie hatte sich die Frage erledigt, ob sie füreinander bestimmt seien oder nicht, und es war nicht mehr wichtig, ob sie einander wirklich leidenschaftlich oder nur halbherzig liebten oder ob sie nur vorgaben oder irrtümlicherweise glaubten, sie würden einander lieben. Wichtig war einzig, was tatsächlich der Fall war. So einfach war das.
    Und jenseits aller großen Worte musste Yvonne sich eingestehen, dass Léon ihr noch immer gefiel – vielleicht mehr noch als früher – in seiner schwerblütigen Männlichkeit. Sie mochte das leichte Geräusch seiner Tritte, wenn er die Treppe hochlief, und den schweren Klang seiner Schritte, wenn er durch den Flur ging, sie mochte die unbeabsichtigte Gutmütigkeit seiner Stimme und den starken, aber niemals scharfen Körpergeruch, der seinem Mantel entströmte, wenn er ihn am Ende eines Arbeitstages an die Garderobe hängte.
    Es gefiel ihr, dass die Kinder, obwohl sie dafür eigentlich schon zu groß waren, noch immer zu ihm auf den Schoß krochen und dort still und ruhig wurden, und es gefiel ihr, dass er die Hände nicht über dem Bauch faltete, wie das Männer ab einem bestimmten Alter üblicherweise tun, und dass er noch nicht ächzte beim Aufstehen und noch keinen Hang zu Besserwisserei und langatmigen Belehrungen erkennen ließ.
    Es gefiel ihr, dass seinem Wesen Boshaftigkeit und Grausamkeit fremd waren, und es gefiel ihr noch immer, dass er nachts im Schlaf seine langen Arme um sie legte. Und selbst wenn es vorkommen mochte, dass er gelegentlich im Traum eine andere Frau umarmte – die Macht der Fakten war auf ihrer Seite. In Tat und Wahrheit war sie die Frau in seinen Armen, und keine andere.
     
    Médine,
    am Ufer des
    Senegal-Flusses
     
    24. Dezember 1940
    Mein geliebter Léon,
     
    lebst Du noch? Ich lebe noch. Eben habe ich die Überreste eines außerirdisch zähen Hühnchens, das ich am Mittag gegessen habe, über die Mauer der Terrasse in den Senegal-Fluss geworfen; jetzt balgen sich die Zwergkrokodile darum, und die Nilpferde schauen gelangweilt zu und sperren die Mäuler auf, während ihnen diese komischen kleinen Vögel mit ihren spitzen Schnäbeln die Fasern zerkauter Seerosen zwischen den Zähnen hervorstochern.
    Bald wird die Sonne untergehen und der Muezzin zum Abendgebet rufen, dann bricht die Stunde der Stechmücken an; die verbringe ich in unserer Festung im Rauchsalon der Offiziersmesse, die dicke Mauern aus Stein hat und dichte Moskitogitter vor den Fenstern. Die Messe ist in dieser alten, zerfallenden Kolonialstadt das einzige noch einigermaßen bewohnbare Gebäude; alle anderen europäischen Häuser sind Ruinen, in denen junge Bäume wachsen und die Afrikaner ihre Hütten errichten. Im Rauchsalon leisten mir der Festungskommandant, seine zwei Sergeanten und meine beiden Kollegen von der Banque de France Gesellschaft; mit von der Partie ist außerdem Giuliano Galiani, der spuckende Funker von der Victor Schoelcher , Du erinnerst Dich; er wurde uns als Verbindungsoffizier zur Seite gestellt (nur dass es hier nichts und niemanden gibt, zu dem man Verbindung aufnehmen könnte).
    Bis zum Abendessen sitzen wir in Korbstühlen und rauchen, während draußen in den

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