Léon und Louise: Roman (German Edition)
Mannschaftsräumen an der Festungsmauer die neunzig senegalesischen Tiralleurs, die unsere kostbare Fracht beschützen (über die ich nicht mehr reden darf), wehmütige Lieder von Liebe, Tod und Heimweh singen. Wenn die Glocke zum Essen ruft, ziehen wir um in den Salon, wo sich über dem Esstisch mächtig kreischend ein Ventilator mit rostzerfressenen Rotorblättern dreht, der eines gewiss nicht allzu fernen Tages von der Decke fallen und uns allesamt in der gleichen Hundertstelsekunde mit einem sauberen Rundumschnitt köpfen wird.
Bis es soweit ist, sitzen wir ergeben da und schwitzen, fluchen über die Hitze und phantasieren um die Wette von Wagenladungen eisgekühlten Biers und Champagners, und wenn uns dazu nichts mehr einfällt, rapportiert zuverlässig einer der Herren seine Abenteuer des Tages, deren unausweichliches Generalthema die chronische Unzuverlässigkeit und Arbeitsscheu der Afrikaner ist.
Tatsächlich haben unsere Arbeitsaufseher große Schwierigkeiten, die Leute bei der Stange zu halten; jeder Afrikaner verdrückt sich sofort in den Schatten des nächsten Baobab, wenn die Nilpferdpeitsche außer Sicht ist. Ich persönlich habe dafür Verständnis, denn bei fünfzig Grad Hitze ist das Steinebrechen, Wasserschleppen und Holzfällen, das sie für uns besorgen müssen, wirklich kein Spaß; unsereiner bricht in diesem Klima schon unter dem eigenen Körpergewicht zusammen.
Und wahr ist auch, dass die Malinké, die Wolof und die Toutcouleurs sich ja nie leidenschaftlich darum beworben haben, für uns hier kostenlos malochen zu dürfen, auch haben sie uns meines Wissens nicht hergebeten und nicht willkommen geheißen, haben uns nie die Freundschaft angetragen und uns, als wir dann mal hier waren, auch nie angefleht, doch bitte recht lang zu bleiben. Trotzdem wundern wir uns täglich aufs Neue, dass unsere Arbeitsaufseher die erwünschte Gastfreundschaft immer und immer wieder mit der Nilpferdpeitsche einfordern müssen.
Das ewige Peitschen und Prügeln, das Geschrei und das Blut und die Demütigungen schlagen hier allen sehr aufs Gemüt – vor allem natürlich den Geprügelten, aber auch den Prüglern selbst, mit denen ich Abend für Abend im Rauchsalon sitze. In den ersten Wochen habe ich mich oft gefragt, wie diese Peitschenschwinger es nur zustande bringen, so gar kein Mitgefühl zu haben, so grausam und frei von jeder Menschlichkeit zu sein. Unterdessen habe ich verstanden, dass die Prügler und Peitscher, wenn niemand ihnen Einhalt gebietet, einem Wahn verfallen, der sie antreibt, immer weiter und immer grausamer zu prügeln, weil nur durch die ständig wiederholte Gewalt die Bestätigung der eigenen Überlegenheit über das Opfer und damit auch die Rechtfertigung für das augenfällige Unrecht der Gewalttat zu erlangen ist.
Etwas anderes kommt hinzu, ich habe meine prügelnden Kollegen, mit denen ich ja rund um die Uhr zusammen bin, schon recht gut kennengelernt; ich höre sie schreien in der Nacht, wenn sie sich in ihrem eigenen Schweiß wälzen unter Albträumen, ich höre sie wimmern und nach ihrer Mama rufen, ich höre sie Kommandos brüllen und Granaten werfen, und ich höre sie durch die Laufgräben am Chemin des Dames rennen, in die sie seit einem Vierteljahrhundert Nacht für Nacht zurückkehren auf der Flucht vor Pickelhauben und Giftgas und auf der Suche nach ihrer verlorenen Menschlichkeit.
Besonders traurig ist, dass nicht nur die Prügler, sondern auch viele Geprügelte am Chemin des Dames waren, und zwar Seite an Seite mit ihren heutigen Quälgeistern. Und noch trauriger ist die Aussicht, dass die Geprügelten eines Tages aufstehen und ihrerseits zur Peitsche greifen werden und dass sich die Prügelei, wenn niemand dazwischengeht, von Generation zu Generation weiter vererben wird bis in alle Ewigkeit.
Insgesamt ergeht es uns hier, würde ich sagen, ganz ähnlich wie den deutschen Besatzern in Paris; die sind ja dem Vernehmen nach auch ein bisschen unglücklich darüber, dass die Franzosen sie als Gäste einfach nicht richtig lieb haben wollen, obwohl sie doch die Panzer vor der Stadt haben stehen lassen und auch sonst recht artig sind. Eine eigenartige Sache ist das, dass der Prügler, wenn er mal für zehn Minuten die Peitsche beiseitelegt, vom Geprügelten immer gleich geliebt werden will.
Ich habe einmal in der Offiziersmesse zwischen Vorspeise und Hauptgang den Gedanken geäußert, dass wir hier am Senegal das gleiche Schicksal erleiden wie die Deutschen, vor denen wir doch
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