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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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ich nach menschlichem Ermessen bis zum Ende des Krieges nicht erhalten werde.
    Wäre ich zu Hause in Paris und säße der Vogel auf meinem Fenstersims, würde ich ihn wohl kaum beachten. Aber hier in der Einförmigkeit dieser roten, eisenhaltigen Hügel mit ihren immer gleichen Akazien und Baobabs, in der ich mich zu Tode langweile in der Ereignislosigkeit der Tage, der Beschäftigungslosigkeit meiner Stunden, der Stille der Nächte, da im Dunkeln kein Geräusch zu hören ist außer dem fernen Heulen der Hyänen, dem nahen Vorbeischlurfen eines menschlichen Schattens, dem Albtraumwimmern meiner Gefährten und ebendiesem Vogel, der immerzu Ruuku-dii Ruuku-dii Ruuku-dii macht … manchmal langweile ich mich so sehr, dass ich mir eine Katastrophe herbeiwünsche, einen Wirbelsturm, ein Erdbeben oder eine Invasion der Wehrmacht, die das alles hier hinwegfegt.
    Übrigens kann ich Dir keine Landschaftsbeschreibung liefern. Gewiss gibt es hier Hügel und Ebenen sowie den Fluss und allerlei Flora und Fauna, und nachts ist der Himmel tiefschwarz und von Sternen übersät. Darüber könnte ich wohl ganz erbauliche naturphilosophische Betrachtungen anstellen, wenn ich eine englische Lady wäre und im Zug vorüberführe. Nun haben es aber die Umstände gewollt, dass ich keine englische Lady bin und nicht vorbeifahre, sondern ausgestiegen und geblieben bin, weshalb ich meine Notdurft hinter Büschen verrichte und mein wöchentliches Bad im Fluss nehme, mich dabei vor Hyänen und Alligatoren in Acht nehmen muss … was ich sagen will, ist dies: Wenn man in der Landschaft mittendrin sitzt, eignet sie sich nicht mehr als Objekt ästhetischer Betrachtung. Dann wird sie eine verdammt ernste Sache.
    Es gibt hier mondsüchtige Unteroffiziere, die mich hinters Gebüsch zerren wollen. Ich muss direkte Sonneneinstrahlung meiden und vor dem nächsten Wolkenbruch im Trockenen sein. Ich ärgere mich mit meiner Schreibmaschine herum, bei der seit einiger Zeit die Buchstaben A,V, P und Z hängen bleiben. Ich sollte meine Zähne mit keimfreiem Wasser putzen, und es wäre gut für mein weiteres Fortkommen, wenn ich die Ehefrauen des Malinké-Königs, die alle fünf unerträglich hochmütige Perlhühner sind, auf dem Gemüsemarkt freundlich grüßen könnte … kurz und gut: Ich muss hier, wenn ich überleben will, bei aller Langeweile doch den Kopf bei der Sache haben und kann mir die Poesie von Bäumen, Bergen und Baobabs nicht leisten.
    Unser Funker Giuliano Galiani hingegen, der doch gar nichts zu funken hat, scheint sich prächtig zu amüsieren. Er trägt einen alten französischen Tropenhelm, den er sich, wenn er frühmorgens zur Jagd geht, quer auf den Schädel setzt, damit er ihm beim Zielen nicht in die Quere kommt. Mittags kehrt dieser zu groß geratene Napoleon mit dem sonnigen Gemüt, der eher an Bluthochdruck als an Leberkrebs sterben wird, aus dem Busch zurück mit einer Antilope über der Schulter, und nachmittags stolziert er über den Markt und zwinkert den hochbeinigen Peul-Mädchen mit den kleinen festen Brüsten zu, die ihrerseits zart errötend lächeln, als hätten sie seine Bekanntschaft schon zu ganz anderen Tageszeiten an ganz anderen Orten gemacht. Abends sitzt er im Schneidersitz bei den Dörflern am Feuer und unterhält sich prächtig in den verschiedensten Eingeborenensprachen, von denen er jeweils ein paar Brocken beherrscht, und manchmal verschluckt ihn die Nacht und taucht er erst am nächsten oder übernächsten Tag wieder auf. Ich sollte mir an dem Mann ein Beispiel nehmen.
    Gewiss bist Du in Sorge um mich. Das sollst Du nicht, ich komme zurecht. Meine größte Sorge ist meine Verdauung, die zweitgrößte die Langeweile und die dritte die Tatsache, dass ich die einzige weiße Frau im Umkreis von fünfzehn Kilometern bin; das verhilft mir bei den weißen Männern der Umgebung zu einer Popularität, auf die ich gern verzichten würde.
    Und Du? Lebst Du überhaupt noch, mein kleiner Léon? Hast Du Hunger, während ich mich über mein zähes Hähnchen beklage? Müssen Deine Kleinen frieren, während mir der Schweiß von der Stirn in die Augen läuft? Lebt Ihr in täglicher Angst und Sorge, während ich mich langweile? Wird geschossen in den Straßen von Paris, fallen Bomben vom Himmel?
    Ach, ich möchte alles wissen und weiß doch, dass Du mir nicht antworten kannst; Du brauchst es gar nicht zu versuchen, wir erhalten seit Monaten keine Post mehr, und Telefon und Telegraf sind schon lange tot. Ich bin in furchtbarer

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