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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Monsieur Le Gall, in diesem Haus hier bestimme vorläufig noch ich, wo’s langgeht. Und ich sage, man muss den Leuten gute Arbeitsbedingungen bieten, wenn sie gute Arbeit leisten sollen.«
    Er schnippte nochmal mit den Fingern, und der Soldat brachte eine große Tischleuchte mit verspiegeltem Schirm. »Sie können sagen, was Sie wollen, für gute Arbeit braucht man gutes Licht. Nur weil Sie sich an die alte Funzel gewöhnt haben, heißt das nicht, dass sie gutes Licht gibt. Sie erlauben doch, dass wir sie gleich mitnehmen und als Ersatz diese hier anschließen?«
    »Wenn Sie darauf bestehen.«
    »Es ist eine Siemens, sozusagen der Mercedes unter den Tischlampen, gar kein Vergleich zu Ihrer Funzel. Wenn Sie hier noch bitte den Empfang quittieren wollen, dann hat alles seine Ordnung. Ordnung ist wichtig in der Verwaltung, nicht wahr?«
    »Jawohl, Monsieur. Und der Kaffee?«
    »Was ist mit dem Kaffee?«
    »Brauchen Sie für den keine Quittung?«
    »Sie machen sich lustig über mich, Le Gall, das ist ungerecht. Ich bin kein Pedant und kein Kleingeist, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich selbst brauche für gar nichts eine Quittung. Persönlich neige ich zur Ansicht, dass uns das Leben für alles irgendwann ganz unaufgefordert eine Quittung ausstellt. Aber die Verwaltung kann nicht bis an unser seliges Ende warten, die braucht schon vorher Quittungen. Und gerechterweise muss man sagen, dass die Verwaltung niemals Selbstzweck ist, sondern letztlich immer dem Menschen dient. Ist es nicht so?«
    »Selbstverständlich.«
    »Deshalb kann ein Ordnungsfehler, das sage ich immer, menschlich schwere Konsequenzen haben. Aber ich plaudere hier und plaudere, dabei haben Sie eine Menge Arbeit. Auf Wiedersehen, Le Gall, bis heute Abend!«
    »Auf Wiedersehen.«
    Knochen eilte mit wehendem Mantel hinaus auf den Flur und zog hinter sich die Tür zu. Einen Augenblick später stieß er sie nochmals auf.
    »Beinahe hätte ich es vergessen – Sie sollen am Mittag im Kindergarten an der Rue Lejeune vorbeischauen, die Direktorin hat angerufen. Ihre kleine Tochter soll – wie heißt sie nochmal, die Vierjährige – Marianne?«
    »Muriel.«
    »Die kleine Muriel soll heute Morgen vom Schulhof aus mit einem Pflasterstein ein Toilettenfenster im dritten Stock eingeworfen haben.«
    »Muriel?«
    Der Mann machte wiederum seine wegwerfende Handbewegung. »Das ist natürlich Quatsch und wird sich rasch aufklären, ist ja klar. Wie sollte ein vierjähriges Mädchen einen Pflasterstein zur dritten Etage hochwerfen, nicht wahr? Wohl eine Verwechslung, typischer Ordnungsfehler. Aber vielleicht ist es doch besser, Sie schauen am Mittag vorbei. Die Kleine wurde, wie man mir mitgeteilt hat, in den Kohlekeller gesperrt, sozusagen in Beugehaft, und heult sich die Seele aus dem Leib.«
    Léon schob heftig den Stuhl zurück und wollte aufstehen, da packte ihn Knochen an der Schulter und drückte ihn zurück auf den Stuhl.
    »Keine Hektik, Monsieur Le Gall, keine Aufregung. Das Beste ist, wir lassen den Dingen ihren Lauf und ihre Ordnung, nicht wahr? Erst wird gearbeitet, dann kommt das Privatleben. Sie schreiben hier fleißig zwei Stunden weiter, dann ist Mittag und Sie gehen in die Rue Lejeune. Der Rektor soll ein engstirniger Idiot sein, habe ich mir sagen lassen. Wenn er Ihr Töchterchen nicht aus dem Kohlekeller entlassen will, bestellen Sie ihm Grüße von Hauptmann Knochen, das sollte dann helfen. Auf Wiedersehen, Monsieur, und frohes Schaffen! Einen angenehmen Tag wünsche ich Ihnen!«

15. KAPITEL
     
    Dann kam der Winter 1940/41, und es wurde kalt in Paris. Im Sommer hatte die Umstellung auf die deutsche Uhrzeit den Franzosen lange, lichte Abende beschert, an denen die Sonne erst nach zehn Uhr unterging und um Mitternacht noch letzte Streifen Tageslicht am Horizont glimmten. Jetzt aber büßten sie dafür, weil die Arbeitstage mitten in der Nacht begannen. Léon stand bei schwärzester Nacht auf und rasierte sich im fahlen Licht der Glühbirne; beim Frühstück konnte er sein Spiegelbild im dunklen Fenster sehen, und auf dem Weg zur Arbeit blinkten am Himmel die Sterne, als sei es nicht früher Morgen, sondern schon wieder Abend.
    Was seine Arbeit am Quai des Orfèvres betraf, so wurde Léon in jenem Winter klar, dass Recht zu Unrecht geworden war und Unrecht zum Gesetz; das Gesindel war die neue Oberschicht, und das Gesetz wurde von Gaunern gemacht. In den Fluren erzählten die Beamten einander flüsternd die neusten Neuigkeiten über die

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