Leonard Bernstein
hatte darum gebeten, dass nichts über dieses Ereignis in der Presse erschien. Aber Charlotte Curtis von der New York Times kam auch und tat, als wäre sie ehrlich an der Sache interessiert – wir glaubten ihr –, und ein junger Freund von ihr in einem weißen Anzug begleitete sie. Wir erfuhren dann, dass das Tom Wolfe war. Was soll ich machen? Gegen Legenden ist kein Kraut gewachsen … außer, man erzählt die Wahrheit. Am Ende sterben sie vielleicht. Und vielleicht kann ich das ein bisschen beschleunigen.
[L. B.s Assistent bringt nun das Hauptgericht.]
Greifen Sie zu, Jonathan.
Oje! Ich fürchte, das kann ich nicht essen.
Es ist nur eine Hühnerpastete.
Ich esse weder Fleisch noch Geflügel.
Es ist doch nur ein kleines Hühnchen! [Mit jiddischem Akzent:] Es vert nit shodn!
Was meinen Sie?
Sie kennen diese Geschichte nicht? Sie ist wirklich passiert, in den großen Tagen des jiddischen Theaters in New York City, als der Hauptdarsteller bei seinem Auftritt auf offener Bühne zusammenbrach. Ein Arzt aus dem Publikum kam sofort herbeigeeilt, um ihm zu helfen, aber der Schauspieler war bereits tot. Aus dem Publikum kam eine Frauenstimme: »Nu gebense em doch e bissele Hienersuppe!« Der Arzt stand auf und erklärte, dass der Mann gestorben sei … doch die Frau rief zurück: »Es vert nit shodn!« Sie sehen also, vielleicht kann ich damit sogar Ihr Leben verändern.
Ich sehe, dass Dr. Freud sich in Mephistopheles verwandelt hat, der Faust fragt: »Wie hättst du, armer Erdensohn, dein Leben ohne mich geführt?«
Ich meine: »Wozu sollte man auf etwas verzichten, wenn man nichts damit erreicht?« Das ist von … woher kommt das? Ach ja, es ist von Ruth Draper 9 . Da gibt es eine Szene, in der sie zum Mathematiklehrer ihres Sohnes sagt [L. B. spricht mit affektiertem Tonfall]: »Er ist einfach nicht gut in Mathematik! Und wozu sollte man gut in etwas sein, das einen nicht weiterbringt?«
[L. B.s Assistent kommt wieder an den Tisch, und L. B. sagt zu ihm: »Niemand hat dir gesagt, dass dieser Mann Vegetarier ist, oder?« »Nein, das wusste ich nicht.« »Na schön, er ist sowieso ziemlich verrückt.«]
Egal. Ich verzichte zwar auf Hühnersuppe, aber ich glaube, dass Musik immer noch die beste Medizin ist. Kennen Sie das Buch Zeit des Erwachens von Oliver Sacks, dem Neurologen?
Ja, aber ich habe nur ein paar Auszüge daraus gelesen, in der New York Review of Books.
Da beschreibt Sacks, wie er Patienten in New York, die die Schlafkrankheit haben und seit vierzig Jahren starr und bewegungslos sind, das Medikament L-Dopa verabreicht … und in einem Fall litt eine Frau – Frances D. – danach unter schrecklichen Zuckungen. Aber immer wenn sie Musik aus dem Radio oder von einer Platte hörte, verschwanden diese Anfälle, und sie begann, Musik und Tanz zu dirigieren – als wäre Musik das Mittel, sie zum rechten Handeln zurückzubringen.
Das »rechte Handeln« ist etwas, was es auch im Zen-Buddhismus gibt. Das ist wunderschön.
Und Oliver Sacks zitiert auch Novalis, der einmal sagte: »Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem, die Heilung eine musikalische Auflösung.« Was denken Sie über die Heilkraft der Musik?
Das ist ein sehr weites Feld, sehr weit und wenig untersucht, außer von ein paar wenigen Leuten, und ich wünschte, ich könnte zu dieser Forschung auch etwas beitragen. Aber das wäre ein Fulltimejob.
Glauben Sie, dass Ihr eigenes Dirigieren womöglich heilende Kräfte hat?
Ich könnte Ihnen hunderte Briefe von Leuten zeigen, die im Rollstuhl in eines meiner Konzerte gefahren wurden und danach aufstanden und den Saal ohne fremde Hilfe, auf ihren eigenen zwei Beinen verließen.
[Schweigen.]
Welche Komponisten waren gespielt worden, als so etwas passierte?
Mozart … Beethoven … Mahler.
Vor Kurzem spielte ich einer Freundin den letzten Satz Ihrer jüngsten Einspielung der 3. Sinfonie von Mahler mit den New Yorker Philharmonikern vor. Die Freundin war zu diesem Zeitpunkt schwer deprimiert … und ich muss sagen, dass Ihre Interpretation dieses Satzes etwas Göttliches und Unirdisches hat, sodass man das Gefühl bekommt, sich – nach einem Ausdruck des Dichters Kenneth Rexroth – in »flirrendem Äther« zu befinden, wo »die Luft etwas enthält, was besser und edler ist als Sauerstoff und Stickstoff«. Und meine Freundin sagte mir, dass diese Musik ihre Stimmung auf unerklärliche Weise nachhaltig verbessert habe. Ich nehme an, Sie haben ihr eine Mahler-Pille verabreicht.
Ah, das
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