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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Cott
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Flasche und trinkt davon und wird kleiner. Nehmet hin und esset, das ist mein Leib. Und trinket – das ist mein Blut: sein Leib, sein Blut. So erfüllt er die Gläubigen. Und denken Sie an das Hohelied Salomos, das sexuellste Gedicht, das es gibt – »deine zwei Brüste sind wie zwei Rehkitze, dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen … Honig und Milch birgt deine Zunge«. Christen sehen darin Jesus als Bräutigam und die Kirche als seine Braut: »Der Bräutigam naht.« Und das alles stammt eigentlich aus den östlichen Religionen. Denken Sie an den Sonnengott, der seine Verehrer zu Empfängern seiner Gaben macht – seines Lichts und seiner Wärme –, zu Gefäßen, durch die er spricht. Und auf ähnliche Weise kommt Gott, um Mahler mit der göttlichen Botschaft zu erfüllen, und er empfängt sie und schreibt sie nieder wie ein guter Sekretär. Genauso, wie es Mozart tat.
    Und wir, als Zuhörer, »empfangen« seine Sinfonien, als wären sie musikalische Rorschach-Tests – es gibt so viele Arten, sie zu hören.
    Weil der Betrachter einen Einfluss auf die betrachteten Dinge hat; er verändert sie. Gott sei Dank gibt es diese Unterschiede. Und aktive Zuhörer. Wenn wir nicht den einen hätten, im Gegensatz zu dem anderen, der neben ihm sitzt, wenn jeder genau dieselbe Botschaft empfangen würde, wozu dann das Ganze? Es gibt viel zu viele passive Zuhörer, auch Kritiker, die einschlafen und laut schnarchen während eines Konzerts. Virgil Thomson 11 hat oft geschnarcht.
    Und dann am nächsten Tag eine Rezension geschrieben.
    Und was für eine!
    Er muss interessante Träume gehabt haben.
    Ich weiß noch, wie er einmal von seinem Sitz auf den Gang gefallen ist. [Er lacht.]
    Ich weiß, dass Sie, was Ihre eigenen Kompositionen betrifft, nicht immer glücklich waren mit den Kritikern.
    Kritiker haben ihren Spaß mit mir, aber jetzt habe ich das magische Alter von siebzig erreicht, und danach kann man nichts mehr falsch machen. Noch vor ein paar Jahren ist ein Kritiker mal über mich hergefallen, weil ich in der Kategorie Neue Musik einfach indiskutabel sei. Ich hätte mich aus der Neuen Musik ausgeklinkt. Als alle Welt wie Boulez und Stockhausen komponierte, schrieb ich die Chichester Psalms … also, zur Hölle mit mir!
    Was soll’s.
    Was soll’s. Milton Babbitt 12 sagte mir einmal, er hätte weiß Gott was dafür gegeben, wenn er Chichester Psalms hätte schreiben können … obwohl er kurz vorher noch zu jemand anderem gesagt hatte: »Das können Sie doch nicht ernst meinen, dass Ihnen diese Musik gefällt!«
    Aber kommen wir zurück auf die verschiedenen Arten, wie man ein Musikstück hören kann. Haben Sie schon mal bemerkt, dass man dasselbe Stück bei verschiedenen Gelegenheiten ganz verschieden wahrnehmen kann? Nehmen wir zum Beispiel den Rosenkavalier von Richard Strauss. Man hört ihn als Jugendlicher oder als junger Mann mit Anfang zwanzig, während man mit einem Mädchen im Bett liegt. Und dann hört man ihn zehn Jahre später, und man ist völlig erschüttert, weil man sich verändert hat und ein bisschen besser versteht, was im Libretto von Hugo von Hofmannsthal steht.
    In einem Artikel, den Sie einmal schrieben (»Mahler: Seine Zeit ist gekommen«), zählten Sie eine Reihe von Gegensatzpaaren auf, die dieser Komponist für Sie in sich vereint: Christ / Jude, Gläubiger / Zweifler, faustischer Philosoph / orientalischer Mystiker, provinziell / kosmopolitisch, intellektuell / naiv, rau / sanft, subtil / geradeheraus, forsch / schüchtern, stolz / selbstvernichtend. Und ich bin sicher, nicht nur ich, sondern auch viele andere Leute haben schon den Gedanken gehabt, dass diese Gegensatzpaare auch auf Sie zutreffen.
    Außer, dass ich kein Christ bin, Mahler hingegen schon. Er ist konvertiert – widerlich! –, kurz vor der Ernennung zum Kapellmeister der Wiener Hofoper, 1897.
    Aber Schönberg ist auch konvertiert, obwohl er sich dem Judentum später wieder zuwandte.
    Aber Mahler nicht. Und er konvertierte nur, um diesen Job zu bekommen. Ich meine, es gab damals keine Nazis, die ihm die Fingernägel herausgezogen hätten. Schönberg dagegen musste vor Hitler fliehen.
    Aber Mahler beschäftigte sich in seinem Werk fast obsessiv mit den christlichen Themen – Erlösung, Seelenrettung, Auferstehung.
    Ja, natürlich … und es gibt auch Zenmusik bei ihm, absolut coole buddhistische Musik.
    Ich frage das jetzt, obwohl es mich selbst verwirrt … aber es kommt mir so vor, als wären Ihre jüngsten

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