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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Cott
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sein Zimmer gehen und genau eine Stunde darin bleiben, und jeder von ihnen sollte ein Sonett über das Thema schreiben. Nach einer Stunde kamen sie wieder heraus, jeder mit seinem Sonett, und verglichen, was sie geschrieben hatten.
    Das Sonett von Leigh Hunt war überschrieben: »An die Grille und das Heimchen«. Es ist ein allerliebstes Sonett über das Heimchen, die »warme kleine Haushälterin«, die »zum Herd gehört«, und die Grille, die »dem Feld gehört«, und wenn der Winter kommt, hat die Arme nichts im Speicher. So ähnlich wie »Die Grille und die Ameise«, die Fabel von La Fontaine.
    John Keats kommt mit »Grille und Heimchen« aus seinem Zimmer, die erste Zeile heißt: »Niemals ist tot der Erde Poesie.« Das ist zum Weinen – er war kaum einundzwanzig, als er dieses Sonett schrieb. Mit fünfundzwanzig starb er. Und 1821, zwei Jahre vor seinem Tod, schrieb er [L. B. rezitiert das folgende Keats-Sonett auswendig]:
    »Entbrannter Stern, ständ ich so fest wie du!
    Nicht strahlte ich mit ewig offnem Lid,
    Um zu erkunden ohne Schlaf und Ruh
    Als in die Nacht gebeugter Eremit,
    Wie priesterhaft die reine See bespült
    Der Erde Küsten, die von Menschen grau,
    Und wie der Schnee herniedersinkt und kühlt
    Mit sachter Maske Hochland, Moor und Au:
    Nein – standhaft wohl und immerdar mir gleich,
    Gebettet an der Liebsten zarte Brust,
    Nur um zu fühlen endelos, wie weich
    Sie fällt und schwillt, in rastlos süßer Lust
    Fort, fort zu hören ihres Atems Gang:
    Dies ewig – oder tot ein Leben lang!« 19
    Rhythmischer Puls. Einatmen und ausatmen … es zieht sich zusammen und dehnt sich aus, wie das Universum. Und das tut auch große Musik. Jedes Stück auf seine eigene Weise.
    In Indien steht das Hindi-Wort »sura« sowohl für »Ton« als auch für »Atem«.
    Ja, und das deutsche Wort »Atem« kommt aus dem Sanskrit, von »Atman« (das Selbst, dasjenige, das atmet). Lesen Sie Tristan und Isolde – da steht das Wort »Weltatem«, in Isoldes Liebestod.
    Wir sprachen schon davon, wie wichtig es für Sie ist, Kinder an klassische Musik heranzuführen. Aber ich halte es heutzutage fast für selbstverständlich, dass die meisten Kinder, die ich treffe, dieser Musik völlig gleichgültig gegenüberstehen; für sie existiert die Klassik einfach nicht mehr. Und interessant ist, dass Sie selbst 1966 schrieben: »In diesem Moment macht es mir, Gott vergib mir, weit mehr Spaß, den musikalischen Abenteuern von Simon & Garfunkel zu folgen oder mir The Association anzuhören, wenn sie ›Along Comes Mary‹ singen, als das zu verfolgen, was heute von der Gemeinde der sogenannten Avantgardekomponisten geschrieben wird … Die Popmusik scheint das einzige Gebiet zu sein, in dem man noch wagemutige Vitalität finden kann, Spaß an neuen Erfindungen, das Gefühl von frischer Luft.« Und in einer wunderbaren Fernsehsendung von 1967 mit dem Titel »Inside Pop – The Rock Revolution« dekonstruierten Sie auf höchst geistreiche Weise Songs wie »Pretty Ballerina« von The Left Banke, »Paint It Black« von den Rolling Stones, »I’m a Believer« von den Monkees und »Good Day Sunshine« von den Beatles. Was denken Sie heute über Rockmusik?
    Bäh! Ich bin inzwischen von den meisten Sachen sehr enttäuscht – déçu , sagt man auf Französisch, das ist stärker; auch das deutsche Wort passt besser als das englische. In den Sechziger- und Siebzigerjahren gab es viele wunderbare Musiker, die ich mochte … und für mich waren die Beatles die besten Songschreiber seit Gershwin. Aber vor Kurzem war ich auf einer Party mit vielen jungen Leuten um die zwanzig, und sie kannten keinen der Beatles-Songs, die ich erwähnte [er singt: »She said I know what it’s like to be dead / And she’s making me feel like I’ve never been born«].
    »She Said She Said« gehört nicht gerade zu den zugänglichsten Meisterwerken der Beatles.
    Mag sein, aber ich habe ihnen zwölf zur Auswahl gegeben! [Er singt: »Friday morning at nine o’clock she is far away / Meeting a man from the motor trade.«] Ob sie wohl »She’s Leaving Home« kannten? Nein, sie hatten nie davon gehört. [Er singt: »I don’t care too much for money / Money can’t buy me love.«] Nie gehört. Und wenn ich noch ein einziges metallisches Kreischen oder noch eine einzige schreckliche James-Brown-Imitation höre, schreie ich. Weil jeder Dahergelaufene das kann: » YOU TOO CAN BE A STAR !«
    Und wissen Sie, wer in großen Teilen dafür verantwortlich ist? Die

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