Leonard Bernstein
zu erhalten; der bekannteste von ihnen ist wohl George Harrison. Und in Finnegans Wake , dem Roman von James Joyce, ist der brillante Satz darüber zu lesen: »In that earopean end meets Ind.«
Wissen Sie, ich habe indische Musik und indischen Tanz immer geliebt. Ich erinnere mich besonders an eine einwöchige Aufführung der Uday Shankar Dance Company in der Symphony Hall in Boston. Da war ich neunzehn oder zwanzig. Die Schönheit der Musik und der Tanz von Shankar und seiner ersten Tänzerin Simkie (bis heute erinnere ich mich an ihren Namen!) – mit all seinen subtilen Bewegungen der Finger, Hände und Augen – war hinreißend. Ich war so begeistert, dass ich kaum sprechen konnte. Ich könnte Ihnen jetzt sogar noch vorsingen, was sie damals sangen, und Ihnen die Musik auf dem Flügel vorspielen – nur könnte der Flügel die Mikrotöne nicht wiedergeben. Diese Musik hatte einen großen Einfluss auf mich, und sie beeinflusste auf eine ganz spezifische Weise auch die Musik, die ich danach schrieb. Ich kaufte alle ihre Platten – es waren 78er-Platten von RCA Victor – und kannte sie auswendig.
Nach diesem ersten Konzert ging ich mit meinem Freund, der die Dance Company kannte, hinter die Bühne, und lernte ihren musikalischen Leiter Vishnudas Shirali kennen – ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen –, und er erläuterte mir die Ragas und holte die Musiker, die mir die Sitar und die Tabla erklärten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie hingerissen ich war. Ich kam jeden Abend, um sie zu sehen – obwohl es genau die Woche war, in der ich in Harvard meine Jahresprüfungen zu absolvieren hatte, aber ich nahm es in Kauf, durchzufallen.
Im Gegenzug lud ich Vishnudas Shirali zu einem Freitagskonzert in der Symphony Hall ein. Sergei Kussewizki dirigierte Mozarts g-Moll-Sinfonie, eine ganz andere Art von Musik. Ich nahm an, Shirali würde Spaß daran haben, es wäre einmal etwas anderes für ihn. Aber an einer Stelle im ersten Satz stellte ich fest, dass er schlief. Ich stieß ihn an und sagte: »Das ist die großartige g-Moll-Sinfonie von Mozart!« Der langsame Satz begann, und wieder döste er ein. In der Pause fragte ich ihn dann: »Was ist los mit Ihnen? Empfinden Sie gar nichts?« »Nein«, antwortete er, »gar nichts. Es ist Babymusik, Musik für kleine Kinder. Di-di- da , di-di- da , di-di da - da /Da-di- di da-di- di da-di- di - di . Was ist das? Es ist uninteressant.« Ich sagte: »Aber was ist mit all den Akkorden?« »Sie haben keine Akkorde.« »Was ist mit den harmonischen Verschiebungen? Was mit dieser verrückten Sequenz in der Durchführung? Und diese kontrapunktischen Bewegungen und Fragmentierungen?« Nichts. Ich konnte ihn nicht überzeugen. Also fügte ich hinzu: »Das ist Ihre Revanche dafür, dass viele Amerikaner während Ihrer fünfundvierzigminütigen Ragas einschlafen.« Dort interessiert man sich für die Linie und für die Mikrotöne der monodischen, linearen Musik … und natürlich für die Rhythmen, die sehr komplex sind, und den Bass, der seinen Ton nie aufgibt. [L. B. singt einen langen, tiefen, dröhnenden Ton.] Und ich sagte: »Wenigstens kommt Mozart zur Subdominante und moduliert. Haben Sie je von Modulationen gehört?« »Ja, aber das ist uninteressant, das ist für kleine Kinder«, versicherte mir Shirali. »Die Melodien sind so blöd, die Rhythmen sind so plump und gewöhnlich.«
Ich dachte also: Ist es möglich, dass Menschen, die auf demselben Planeten leben, den gleichen Gesetzen der harmonischen Reihe, des Gehens auf zwei Beinen und so weiter unterworfen sind, wirklich nicht über Musik miteinander reden können? Und mir wurde klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, davon, dass man neuer Musik ausgesetzt ist und sich ihr selbst aussetzt – wie einer fremden Sprache oder fremden Sitten –, dass man sie nicht als den feindlichen Fremden betrachtet, nicht als etwas Außerirdisches, sondern als einen freundlichen Mitbewohner des Planeten. Ist es nicht wunderbar, jemanden kennenzulernen, der ein bisschen anders ist als man selbst?
Und das alles fand vor langer Zeit statt, Anfang 1939. Vor fünfzig Jahren. Einundfünfzig im kommenden Januar. Und ich höre das, als wäre es gestern gewesen. Wenn ich darüber nachdenke, fühle ich mich wie damals … ich fühle mich wie ein Anfänger.
Es ist mir während unseres Gesprächs heute Abend immer wieder klar geworden, wie bemerkenswert Ihr Gedächtnis ist. Das mag jetzt etwas seltsam klingen, aber manchmal, wenn Sie
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