Leonardos Drachen
sagen, dass diese Stiefel zur Ausrüstung eines Soldaten gehören.“
„Und wenn ein V-förmiges Zeichen ausgespart ist? Hast du so etwas schon einmal gesehen?“
„Wieso fragst du das alles? Wir haben jetzt keine Zeit für so etwas. Du solltest lieber darüber nachdenken, wie du die Fragen von Meister Andrea beantwortest!“
Leonardo humpelte hinter seinem Vater her. Bestimmt hatte er durch die Schuhe bald ein Hühnerauge!
„Ich habe gestern Abend einen Mann mit solchen Stiefeln auf der anderen Straßenseite vor unserem Haus gesehen. Er war allerdings ansonsten vollkommen vermummt und trug einen Kapuzenmantel, sodass ich nichts weiter von ihm erkennen konnte.“
„Das wird sicher einer der Söldner des Herrn de’ Medici gewesen sein. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Schließlich wurde angekündigt, dass vermehrt Wächter durch die Straßen patrouillieren sollen. Übrigens hat Herr de’ Medici auch angeordnet, dass die Zahl der Nachtwächter verdoppelt wird. Es werden zusätzliche Männer eingestellt, sobald man genug von ihnen finden kann. Aber in diesem Punkt mache ich mir keine Sorgen, denn sie bekommen einen ausgezeichneten Lohn.“
„Man sollte darauf achten, dass es sich wirklich um vertrauenswürdige Männer handelt!“
„Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zerbrechen, Leonardo! Und im Übrigen kannst du sicher sein, dass die Schuldigen für den Überfall schon noch gefunden werden.“
„Hast du gestern nicht erwähnt, dass Herr de’ Medici unter Gicht leidet?“
„Ja, darüber spricht die ganze Stadt. Er leidet sehr darunter. Es ist eine Krankheit, die mit großen Schmerzen in den Gelenken verbunden ist.“
„Das bedeutet wahrscheinlich, dass der Stadtherr große Mühe hat, in den Sattel seines Pferdes zu kommen.“
Ser Piero nickte. „Natürlich! Es ist manchmal eine Qual für ihn, aber er will unbedingt, dass man ihn hoch zu Ross sieht. Schließlich soll niemand denken, dass er schwach und krank ist. Außerdem – sobald er es erst einmal unter großen Schwierigkeiten auf das Pferd hinaufgeschafft hat, sieht man ihm seine Schwäche nicht mehr an.“
„Aber das heißt doch wahrscheinlich, dass er nur sehr selten ausreitet, oder?“
Ser Piero stieß einen ärgerlichen Laut aus. „Schluss jetzt, Leonardo! Das ist keine Angelegenheit, um die du dich jetzt kümmern solltest.“
„Aber Vater, wenn Herr de’ Medici nur sehr selten ausreitet und so krank ist, wie du sagst, dann ist es doch eigentlich nur einleuchtend, dass so ein Ritt gut geplant sein muss. Doch die Banditen haben all das gewusst und sich genau zum richtigen Zeitpunkt auf die Lauer gelegt. Es muss einfach einen oder mehrere Verräter im Palast geben, Vater!“
„Leonardo!“
„Jemanden, der ganz nah am Stadtherrn dran ist und alles mitbekommen kann, was er bespricht … Oder hat er vielleicht vorher laut verkünden lassen, was er vorhat?“
„Wahrscheinlich hat es überhaupt keinen Sinn, deinen Redefluss stoppen zu wollen! Warum sollte ich es dann überhaupt erst versuchen? Tu mir nur einen Gefallen: Reiß dich zusammen, wenn wir bei Meister Andrea sind!“
D ie Werkstatt von Meister Andrea lag an einer schmalen Gasse. Schon von Weitem war durch eines der offenen Fenster die laute Stimme von Andrea del Verrocchiozu vernehmen. Bei Leonardos erstem Besuch hier war das genauso gewesen. Hier war etwas nicht in Ordnung an einer Arbeit, da galt es etwas zu verbessern. „Nein, nein, nein, Botticelli, wie kannst du nur so ungeschickt sein!“, hörte Leonardo ihn jetzt noch viel durchdringender als gewöhnlich ausrufen.
„Der arme Botticelli!“, dachte Leonardo. Ganz gleich, wer auch immer das sein mochte.
Ser Piero klopfte an die Tür zum Werkstatthaus, obwohl sie offen stand.
Ein junger Mann kam ihnen entgegen. Er war nur ein paar Jahre älter als Leonardo. Entweder hatte er seine Ausbildung gerade hinter sich gebracht und war jetzt ein Geselle oder er stand kurz davor. In den Händen hielt er einen Stapel zum Teil grob zusammengerollter oder gar geknüllter Papierbögen.
„Aber dass du mir nichts von dem wertvollen Papier wegwirfst, das du mit deinen Kritzeleien verdorben hast, Geselle Botticelli!“, rief ihm der Meister hinterher. „Radieren heißt das entscheidende Wort der Stunde. Radieren und nochmals radieren!“
„Ja, Herr“, gab der Angesprochene kleinlaut zurück.
„Oh Botticelli, mein Botticello, ob du das wohl noch lernst?“, rief Andrea del Verrocchio und machte sich
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