Leonardos Drachen
damit wohl über den Namen des Gesellen lustig. Der junge Mann hieß offenbar Botticelli, aber Meister Andrea änderte ihn in Botticello, was im Dialekt von Florenz so viel wie „Fässchen“ bedeutete. 2
So sehr Leonardo auch Mitleid mit dem Lehrling hatte, so musste er doch insgeheim zugeben, dass dieser Begriff den jungen Mann ganz gut beschrieb. Leonardo schätzte, dass der Geselle wohl vielleicht schon neunzehn oder zwanzig Jahre alt war. Er war recht rundlich, hatte gelocktes Haar und ein rundes Mondgesicht. Seine Körpergestalt erinnerte tatsächlich an ein Fässchen. Botticelli war so durcheinander, dass er einfach an Leonardo und seinem Vater vorbeilief und sie weder grüßte noch sie überhaupt richtig bemerkte. Wenn Leonardo nicht im letzten Moment einen Schritt zur Seite gemacht hätte, dann wäre er wohl einfach zu Boden gerempelt worden. Botticelli lief zur Tür hinaus und im nächsten Moment hörte man, wie die Tür zu einem Nebengebäude geöffnet wurde, das wohl auch noch Teil der Malerwerkstatt war.
Andrea del Verrocchio war ein Mann von etwa vierzig Jahren, der eine über und über mit Farbe befleckte Schürze trug. Auch seine Hände und Oberarme waren von Farbflecken übersät. Hinter dem rechten Ohr steckte ein Bleistift, und in der linken Hand hielt er eine Farbpalette, die er nun allerdings auf einem der Tische ablegte.
„Ser Piero! Habt Ihr mal wieder den Weg in meine Werkstatt gefunden! Was kann ich für Euch tun?“
„Nun, Meister Andrea …“
Eigentlich brauchte Ser Piero darauf gar nicht zu antworten. Der Blick des Meistermalers fiel nämlich auf Leonardo. Drei Jahre war es her, dass Meister Andrea Leonardo zum letzten Mal gesehen hatte. Anscheinend hatte der Junge sich in dieser Zeit mehrverändert, als Leonardo selbst es gedacht hätte. „Ah, Euer frühbegabter Sohn“, stellte er fest. „Ihr sucht nun wieder nach einem Lehrherrn für ihn, nicht wahr?“
„Es wäre tatsächlich ein Grund zur Freude für mich, wenn Ihr ihn aufnehmen würdet!“
Meister Andrea verzog das Gesicht und kratzte sich am Kinn. Ein paar Tropfen Farbe waren in seinen Bart gespritzt, waren dort getrocknet und bröckelten jetzt nach und nach heraus. Offenbar hatte der Meister sehr viel zu tun und kaum Zeit, sich zu pflegen. „Immerhin werde ich mir über die Zahlung des Lehrgeldes für den Jungen ja wohl keine Gedanken machen müssen“, meinte er dann nachdenklich. „Wie man so hört, habt Ihr ja im Palast der Medici eine große Karriere gemacht, Ser Piero!“
„Nun, man tut, was man kann, und ich versuche stets, meine Pflichten sorgfältig zu erfüllen“, erklärte Ser Piero zurückhaltend.
„Irgendetwas gefällt Meister Andrea an dem Gedanken nicht, mich als Lehrling aufzunehmen“, ging es Leonardo durch den Kopf. Da war etwas, das den Meistermaler zögern ließ, und Leonardo hatte das Gefühl, dass dies vielleicht gar nichts damit zu tun hatte, ob sein zukünftiger Schüler nun begabt genug war oder nicht.
„Leonardo, zeig ihm deine Gesichter!“, forderte Ser Piero seinen Sohn auf.
Leonardo hatte die Blätter mit den Gesichtern zusammengerollt und gab sie Meister Andrea. Der schaute kurz darauf und sein Gesicht veränderte sich dabei. „Oh, man sieht, dass du dich gegenüber dem Gekritzel, das ichbeim letzten Mal von dir gesehen habe, weiterentwickelt hast“, gab er zu. Er wandte sich um. Überall im Raum standen Staffeleien mit halb fertigen Gemälden. Auch an den Wänden hingen einige Leinwände, die nur zum Teil schon mit Farbe bedeckt waren. Landschaften, Gesichter, manchmal waren auch nur Menschen ohne Köpfe zu sehen. An einigen der Bilder saßen Gesellen und Lehrlinge von Meister Andrea und fügten entweder ein Gesicht oder eine Hand hinzu. Andere beschäftigten sich damit, möglichst dramatisch wirkende Wolken an den Himmel zu zaubern. Hier und da arbeiteten sogar zwei Gehilfen des Meisters an einem einzigen Bild.
„Perugino!“, rief Meister Andrea, woraufhin sich ein etwas älterer Junge umdrehte.
„Ja, Meister?“
„Hol ein Stück Papier und einen Bleistift! Meinetwegen auch etwas Kohle, oder was auch immer du gerade zum Zeichnen findest, und bring es her.“
Der Junge, der Perugino 3 genannt worden war, eilte sofort los, um zu holen, was der Meister ihm aufgetragen hatte. Leonardo war allerdings vollkommen gebannt von dem Bild, an dem Perugino gearbeitet hatte. Erst jetzt, nachdem der Lehrling zur Seite getreten war, konnte Leonardo es richtig sehen. Ein Mann in
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