Leonardos Liebesbiss
Trieb. Alle anderen Frauen waren vergessen. Für ihn gab es nur noch Tanya, denn ihr hatte er die größte Niederlage seines Lebens zu verdanken, und genau dafür wollte er sich rächen. Er glaubte zumindest schneller zu gehen als sie. Dabei fragte er sich, warum sich Tanya auf der Kirmes herumtrieb. Wahrscheinlich wollte sie wieder abzocken. So unterschiedlich er und sie auch waren, im Denken näherten sie sich an.
Er sah sie gehen. Der Mantel schwang hin und her. Da sie ihn trug, nahm er an, daß sie hier nicht zu den Schaustellern oder dem Personal zählte. Die liefen in einem anderen Outfit herum.
Sie hatte das Ende der breiten Seite erreicht. Genau dort schaute sie sich noch einmal um. Craig wußte jetzt endgültig, daß sie ihn erkannt hatte. Aber sie wirkte nicht ängstlich. Das hätte ihn eigentlich warnen sollen, doch er war so sehr mit seinen Rachegedanken beschäftigt, daß er nicht darauf achtete.
Sie öffnete eine Tür. Und sie hielt sie sogar noch etwas länger als gewöhnlich auf.
Erst dann verschwand sie.
Craig nahm die Verfolgung auf. Er schaute auch noch nach, ob man ihn beobachtete, doch es war niemand zu sehen. Außerdem gab es an der Rückseite der Geisterbahn keine weiteren Karussells. Dort parkten einige Versorgungswagen, und unter den mächtigen Planen drang das Summen der Generatoren hervor.
Die Gelegenheit war günstig. Craig ließ sie auch nicht vorbeiziehen. Er wünschte sich, daß die Tür von innen nicht abgeschlossen war. Dieser Wunsch ging in Erfüllung.
Craig zog sie auf.
Er zuckte für einen Moment vor der fremden Welt zurück, die dunkel, bunt, auch hell und voller fremder Geräusche war. Schreien, Brüllen und Quietschen der Lautsprecherstimmen hallten durch das große Innere, das beinahe die Ausmaße der Verkaufsfläche eines mittelgroßen Supermarkts besaß.
Craig Benson hatte die Tür hinter sich zugezogen und machte sich mit der vor ihm liegenden Umgebung vertraut. Vom Bohlenboden hoben sich die helleren Schienenstränge ab, auf denen die Gondeln oder Wagen fuhren. Ein dunkler Himmel breitete sich aus. Hin und wieder huschten grelle Blitze daraus hervor.
Auch das geifernde Lachen eines irren Axtmörders, der sich drei blutverschmierte Köpfe unter einen Arm geklemmt hatte und in der anderen Hand eine ebenfalls blutverkrustete Axt hielt, dröhnte in seinen Ohren. Er mußte an ihm vorbei, um tiefer in die Geisterbahn hineinzukommen.
Über ihm schwebte eine Lichterkette. Die kleinen Lampen blinzelten nur die Dunkelheit weg. Außerdem nahmen sie die leichten Vibrationen des Fußbodens auf, so daß Craig durch ein leicht bizarres Muster schritt, als er sich neben den Schienen entlangbewegte.
Noch fuhr kein Wagen. Nur der Bauch der Geisterbahn lebte noch, und auch der Axtmörder, der plötzlich mit seiner Waffe zuschlug, aber dicht vor Craigs Gesicht das Instrument stoppte und wieder schrill lachte.
Craig bewegte sich geduckt weiter. Wartete auf Überraschungen. Wurde trotzdem erwischt, als plötzlich eine menschengroße Tarantel von der Decke her fast zu Boden fiel und sofort wieder hochhüpfte. Die Facettenaugen leuchteten dabei in verschiedenen Farben.
Benson hastete geduckt weiter. Wenige Schritte später blieb er stehen. Plötzlich war ihm zu Bewußtsein gekommen, welch ein Narr er doch war. Rannte hinter einer Person her, die er nicht mehr sah und die zu einem Phantom geworden war. Das war einfach der blanke Unsinn, er machte sich lächerlich.
Aber er staunte auch.
Craig kannte Geisterbahnen von innen. Zwar war er lange nicht mehr in einer gewesen, doch er erinnerte sich an Gänge mit scharfen Kurven, an schaurig beleuchtete Tunnels, an die Gespenster und Dämonen, die Menschen erschreckten.
Das mochte es hier auch an anderer Stelle geben, vielleicht in der ersten Etage, denn es gab zwei Ebenen. Hier unten allerdings sah die Welt anderes aus.
In Schlangenlinien führten die Gleise durch eine Totenwelt. Durch einen oder über einen See hinweg. Wasser, das nicht nur wie Wasser aussah, sondern echt war. Die Gleise liefen dort auf eisernen Stelzen, und sicherlich schwappten an bestimmten Stellen plötzlich irgendwelche Monster aus dem Wasser. Craig stand am Rand. Um die andere Seite zu erreichen, mußte er über die Schienen laufen oder durch das Wasser waten. Keine der Möglichkeiten behagte ihm so recht. Außerdem sah er Tanya nicht. Sie schien sich doch hier auszukennen und hatte ein perfektes Versteck gefunden.
Noch immer fuhr kein Wagen in die Bahn. An die
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