Leonardos Liebesbiss
Geräusche hatte er sich gewöhnt. Richtig laut würde es erst werden, wenn die Wagen mit den Fahrgästen bestimmte Kontakte auslösten. Dann würde sich die Atmosphäre zu einem Horror-Szenario verdichten. Nur der dämliche Axtmörder mit den drei Köpfen unter dem Arm lachte weiterhin.
Craig drehte sich nach links.
Dort war es dunkler. Restlicht leuchtete hinein, aber viel zu sehen gab es auch nicht. Eine Taschenlampe wäre jetzt hilfreich gewesen. Um etwas mehr zu erkennen, mußte Craig näher an die dunkle Stelle heran. Zudem glaubte er, dort einen Umriß zu sehen. Was es war, konnte er nicht erkennen.
Die Stelle eignete sich gut als Versteck. Das war ihm schon klar. Er wollte trotz seiner beklemmenden Furcht hingehen und nachschauen. Wenn er nichts fand, dann dachte er an Rückzug. Er konnte auch draußen warten oder über das Gelände gehen und nach ihr Ausschau halten.
Am Rand des künstlichen Sees bewegte er sich entlang – und hörte neben sich das Plätschern.
Das war neu.
Er blieb stehen, schaute nach unten – und wurde plötzlich totenstarr.
Aus dem Wasser war eine Hand aufgetaucht. Zielsicher packte sie seinen rechten Fußknöchel, zerrte daran, und Craig Benson verlor das Gleichgewicht.
Wuchtig klatschte der Körper in den künstlichen See!
***
Was richtig geschehen war, begriff Craig Benson erst, als das Wasser über ihm zusammenschlug und er keine Luft mehr bekam. Zudem hatte er den Fehler begangen, den Mund offenzulassen. So hatte die Brühe freie Bahn gehabt und war bis in seine Kehle gedrungen.
Er bekam keine Luft mehr. Dieses plötzliche Wissen ließ panikartige Angst in ihm hochschnellen. Benson befand sich in einem Zustand, der ihn zweiteilte. Auf der einen Seite war da die schreckliche Angst, auf der anderen spürte er überdeutlich, daß sich jemand mit ihm beschäftigte.
Es waren die Hände, die sich an seinem Körper festkrallten. Sie rissen, sie zerrten, sie wollten ihn unter Wasser halten und noch mehr in die Tiefe dem Grund entgegendrücken.
Craig schlug um sich. Es konnten in seinem Zustand keine gezielten Schläge sein, zu stark war die Angst in ihm, sein Leben zu verlieren. Er traf auch ein Ziel, sah jedoch nicht, wohin er seine Schläge setzte.
Dann drückten ihn die anderen Hände hoch. Daß er mit dem Kopf aus dem Wasser schaute, begriff Benson erst später. Er konnte atmen, er bekam Luft, aber er keuchte zugleich seinen eigenen Speichel hinaus. Ihm war übel geworden. Er hatte die Augen weit geöffnet, die Brühe rann aus den Haaren am Gesicht entlang, doch von der Umgebung konnte er nichts erkennen.
Für ihn war sie ein verschwommenes Bild, mehr wie ein Hintergrund. Düster und nur ab und zu mit Lichtflecken garniert.
Es ging ihm etwas besser. Atmen, Luft holen, auch sehen, denn seine Augen waren vom Wasser befreit. Der Blick brannte sich auf einem Gesicht fest, das er dicht vor sich sah.
Ein Frauengesicht!
Tanya!
Schlagartig fiel ihm alles wieder ein. Innerhalb einer winzigen Zeitspanne huschte durch seinen Kopf, was er auf diesem Jahrmarkt und auch in der Geisterbahn erlebt hatte. Wie er dieser Frau in die Dunkelheit gefolgt war, und er wußte jetzt genau, daß sie es gewesen war, die ihn in das Wasser gezerrt hatte.
Auch sie war naß.
Das Gesicht, so nah es auch vor ihm tanzte, war für ihn mehr ein verzerrter Fleck, in dem sich der Mund als Öffnung befand. Eines allerdings fiel ihm besonders auf.
Die Zähne.
Es gab sie normalerweise nicht, und trotzdem waren sie vorhanden. Zwei längere Zähne im Oberkiefer. Sie glichen krummen Dolchen, sie schimmerten weiß, gelb und auch naß. Er wußte, daß sie eine Gefahr für ihn darstellten, kam allerdings nicht sofort darauf, was sie genau bedeuteten.
Er stand auf dem Grund. Der See war nicht tief. Das Wasser reichte ihm bis zur Brust, und er war jetzt in der Lage, die Geräusche der Umgebung aufzunehmen.
Das Schreien, das Heulen, das echte und unechte, denn inzwischen waren die ersten Gondeln durch den Eingang in die große Geisterbahn hineingefahren.
Menschen hielten sie besetzt. Ihre erschreckten Rufe mischten sich mit der Geräuschkulisse. Er hörte dumpfe Musik und ein schauriges Lachen, das ihn an die Gestalt des Axtmörders mit den drei Köpfen unter dem Arm erinnerte.
Tanya griff an. Sie war so schnell, daß sie Benson überraschte. Er wurde unter Wasser gedrückt, und wieder spürte er die Brühe im Mund. Abermals erfaßte ihn Panik, aber diesmal war er in der Lage, sich zu wehren. Er vergaß auch
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