Leonardos Liebesbiss
sich in einer gewissen Höhe, und als sie die Tür auf gestoßen hatte und sich in einer dunklen Bude wiederfand, sah sie auch die nach unten führende Leiter. Ein schwaches Notlicht leuchtete die Sprossen an und streifte auch über die an mehreren Haken hängenden Kittel hinweg, die aussahen wie aufgehängte Menschen.
Auch jetzt benötigte Tanya kein Licht. Trittsicher fand sie die Stufen und stieg dem Ende der kleinen Treppe entgegen. Jetzt befand sie sich unterhalb der normalen Ebene. Hier hatte sie mehr Platz, hier konnte sie besser gehen und hielt sich dabei immer am Rand des großen, mit Wasser gefüllten Beckens auf. Auch jetzt machte ihr die Düsternis nichts aus. Sie kannte sich aus und näherte sich dem Versteck von der anderen Seite. Jetzt brauchte sie nur noch einmal wieder etwas nach oben zu steigen, dann hatte sie die Biegung, wo der Vampir liegen mußte, erreicht.
Überrascht blieb sie stehen.
Die Stelle war leer.
Craig Benson war verschwunden!
Bei dem Teenie mochte er seinen Spaß gehabt haben. Mit mir würde der Blutsauger echten Arger bekommen, auch wenn es zunächst nicht danach aussah, weil ich wieder in das Wasser gesunken war und mich noch immer festhielt.
Mit den Händen hatte ich den Boden erreicht, auf dem ich mich abstützte. Der Druck um die Fußknöchel hatte sich nicht gelockert. Zusätzlich bewegten sich die Hände, als wollten sie sich in die Haut hineinschrauben.
Ich trat aus, so gut es ging. Ich bewegte auch den Oberkörper und versuchte, ihn unter Wasser zu drehen. Ich wollte den Blutsauger mürbe machen, stieß mich wieder vom Grund ab, und der Auftrieb schwemmte den Oberkörper hoch.
Ich bekam Luft.
Der Vampir hielt mich noch fest. Das konnte einfach nicht Sinn der Sache sein. Es brachte ihm nichts, wenn er mich ertränkte. Er wollte mein Blut. Das würde er kaum aus meinen Füßen saugen, wenn er dort hineingebissen hatte.
Wieder sank ich in die Brühe. Diesmal versuchte ich es mit einem harten Ruck. Ich zog die Beine an. Das Wasser gab uns die gleichen Chancen. Es war nicht zu tief, aber es sorgte für eine Instabilität des Gleichgewichts.
Das spürte auch der Vampir. Durch den plötzlichen Ruck wurde er nach vorn gezogen. Das Wasser nahm ihm ebenfalls die Standfestigkeit, und er kippte nach vorn. Ich merkte, daß seine Hände abrutschten, trat wieder aus – und war frei.
Noch einmal würde er mich nicht in die extreme Lage hineinbringen. Mit einem Schwimmstoß brachte ich mich außer seiner Reichweite. Das Wasser spülte in meinen Mund hinein. Ich spie es aus, ich würgte auch dabei, aber ich tauchte nicht mehr unter. Meine Beine sanken nach unten, die Füße fanden wieder Halt, und ich drehte mich auf der Stelle.
Weiter entfernt lief alles normal ab. Da rollten die Wagen über die Gleise hinweg. Die Führungskette in der Gleismitte schob sie weiter, als sollten die Gondeln nie mehr anhalten. Monster tauchten auf, erschreckten die Menschen, bespritzten sie, zeigten ihnen das Grauen hautnah, doch der wahre Schrecken spielte sich hier ab.
Die Umgebung war nicht lichtlos, aber auch nicht hell. Sie schwamm in einem seltsamen Zwielicht, mehr grünlich als grau. Hin und wieder huschte ein Lichtreflex über die Oberfläche, wie der Gruß einer Sternschnuppe.
Ich war zurückgewichen, weil ich Platz und Rückendeckung haben wollte. Die verschaffte mir die Innenseite des Beckens. Gegen ihren Rand preßte ich mich und erwartete den Vampir.
Er war noch nicht zu sehen. Es konnte sein, daß er über den Boden kroch, um mich wieder in die Brühe zu zerren. Wehrlos wollte ich auf keinen Fall sein, und deshalb streifte ich schnell die Kette über den Kopf, an der das Kreuz hing.
Jetzt konnte er kommen.
Ich sah ihn nicht. Er war einfach weggetaucht, um mich noch auf die Folter zu spannen. Ich atmete die schlechte Luft ein. Ich roch das Wasser, das so alt stank und auch brackig war.
»He, Mister, kommen Sie doch. Verdammt, was ist denn los? Warum bleiben Sie im Wasser?«
Ich hcirte die Stimme der Kleinen von außerhalb, ohne das Mädchen allerdings zu sehen.
»Wie heißt du?«
»Melanie!«
»Okay, Melanie, bleib wo du bist. Ich muß mich um unseren Freund kümmern.«
»Aber er ist…«
»Ich weiß, was er ist. Mach dir keine Sorgen!«
Noch hielt sich der Vampir versteckt. Irgendwo auf dem Boden im Schutz der Brühe. Er war kein Mensch und brauchte nicht zu atmen. So konnte er sich tagelang dort aufhalten, sofern ihn nicht die Gier nach Blut wieder in die Nähe eines
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