Leonardos Liebesbiss
Menschen trieb.
Das Wasser wellte.
Durch die anderen Aktivitäten war es unruhig. Immer wenn aus der Tiefe die Monstren erschienen, geriet es in erneute Bewegungen. Erst an den Innenwänden wurden die Wellen gebrochen, und oft genug spritzte mir Wasser ins Gesicht.
Dann sah ich ihn.
Er wollte endlich mein Blut. Er kam und hielt sich dabei knapp unterhalb der Wasseroberfläche, so daß er mir vorkam wie ein unförmiger langer Fisch.
Schwimmbewegungen sah ich nicht. Er ließ sich treiben. Vielleicht bewegte er seine Füße auch auf dem Grund, so genau war das für mich nicht zu erkennen.
Immer näher kam er.
Ich hielt das Kreuz in der rechten Hand. Um mehr Standfestigkeit zu bekommen, hatte ich mich breitbeinig hingestellt.
Plötzlich schäumte er hoch.
Es spritzte und gischtete vor mir auf. Er hatte sich einen mächtigen Schwung gegeben, um das Wasser zu verlassen. Eingehüllt in eine Gischtwolke sah ich ihn vor mir. Ein schaurig verzogenes Gesicht mit einem offenstehenden Mund, in dem die beiden Zähne schimmerten. Ich sah auch seine Arme, die er in die Höhe riß, um sie im nächsten Augenblick wieder fallen zu lassen.
Seine Hände landeten auf meinen Schultern.
Genau damit hatte ich gerechnet. Er preßte mir die Fingerkuppen in das dünne Fleisch. Er drückte dabei meine Kleidung zusammen. Er wollte den nötigen Halt bekommen, um mich zu sich heranziehen zu können. Das Maul stand weit offen. Er war bereit für den ersten Biß. Den Spaß wollte ich ihm verderben.
Ich ließ mich in seine direkte Nähe ziehen. Dabei verlor ich den Halt. Das Wasser schwemmte meine Füße weg. Ich stieß gegen ihn, aber zugleich auch mein Kreuz.
An der Brust hatte es ihn getroffen!
Plötzlich wurde alles anders. Der Vampir sprang in die Höhe. Sein Kopf kippte zur Seite. Das offene Maul schlug zu. Die Augen verloren die Gier, und ich schaute zu, wie er erschlaffte. Es gab nichts mehr, was ihm noch Halt gegeben hätte. In den Knien sackte er ein, er wurde schwer und schlaff, dann verschwand er vor mir im Wasser und trieb dem Grund entgegen.
Das Kreuz steckte ich weg, weil ich beide Hände frei haben wollte. Ich griff zu und zerrte die Gestalt an die Oberfläche. Er hing schlaff in meinem Griff, die Schultern nach vorn gezogen, den Kopf gesenkt. Die Macht des Kreuzes hatte ihn endgültig erlöst. Er würde nie mehr versuchen, an das Blut eines Menschen zu gelangen.
Im Wasser wollte ich den Toten nicht lassen. So schob ich ihn auf den Rand des Beckens zu. Es war nicht einfach, ihn in die Höhe zu hieven. Wie ein nasses Wäschestück hängte ich ihn über den Rand mit dem Kopf nach unten. Dann bekam er einen letzten Stoß und prallte auf der anderen Seite des Beckens zu Boden.
Dort war er in den tiefen Schatten gefallen, in den ich auch tropfnaß hineinkletterte.
Ich mußte erst mal zu Atem kommen. Die letzten Minuten hatten mich angestrengt, aber es war überstanden. Doch die Probleme gab es weiterhin, und ich versuchte zunächst einmal, mich so gut wie möglich zu orientieren.
So tief war die Dunkelheit nicht. Ich stellte nur fest, daß ich auf dem Grund der Geisterbahn stand, praktisch in ihrem Keller. Sie selbst baute sich über mir auf wie ein gewaltiges Gewölbe, und auch aus der oberen Ebene drangen die Geräusche nach unten.
»Melanie?« Das Mädchen gab mir keine Antwort.
Viel Platz zum Verstecken hatte sie hier nicht. Okay, sie konnte in die Dunkelheit abgetaucht sein, nur wäre das unklug von ihr gewesen. Niemand konnte wissen, was sich hier in dieser schaurigen Umgebung noch versteckte. Bei dem einen Vampir mußte es nicht unbedingt bleiben.
Ich wischte Wasser aus meinem Gesicht und rief noch einmal nach Melanie. Jetzt meldete sie sich.
»Ja, ich bin hier.«
Eine weitere Frage konnte ich mir sparen. Sie tauchte aus der Dunkelheit auf, in die sie sich zurückgezogen hatte. Auch sie war noch tropfnaß, und sie ging schwankend. Ich stieg über den Toten hinweg, hatte sie bald erreicht und nahm sie in meine Arme. Sie zitterte, und dieses Zittern war bestimmt nicht nur auf die Kälte zurückzuführen. So etwas wie heute hatte sie noch nie erlebt. Sie und ihre Freundinnen waren auf den Rummel gegangen, um sich zu amüsieren. Mit einer Konfrontation des wahren Grauens hatten sie dabei nicht gerechnet.
»Was war das denn?«
»Etwas, das vorbei ist.«
Sie zog die Nase hoch. »Der hat mich ins Wasser gezogen. Der wollte mein Blut, Mister.«
»Ich heiße John. Aber ich kann dir versprechen, daß er kein Blut
Weitere Kostenlose Bücher