Léonide (German Edition)
schichten über ihn i n Umlauf sind … Außerdem glaube ich nicht, dass Costantini Ihrem Bruder tatsächlich Besuche in Saint-Rémy-de-Provence abgestattet hat. Es muss einen and e ren Grund dafür geben, dass Willem Costantini gesehen hat – und der liegt in seinen Halluzinationen begründet.«
»Warum hätte Willem von Costantini halluzinieren sollen? Vielleicht kannte er seinen Namen – aber sonst? Nein, es muss andere Gründe geben, Gründe, die Willem uns nicht mehr mitteilen kann und denen ich auf den Grund gehen muss.« Leiser fügte ich hinzu: »Das bin ich ihm schuldig.«
Ich senkte den Blick, doch Frédéric ließ nicht zu, dass ich mich in mein Inneres zurückzog, um ihm auszuweichen. »Sie tragen keine Schuld an Willems Tod. Sie müssen das nicht tun. Ganz sicher hätte Ihr Bruder nicht gewollt, dass Sie sich für ihn in Gefahr begeben. Vielleicht erscheint es Ihnen gefühllos von mir, aber an seinem Tod können Sie nun mal nichts ä n dern.« Er machte eine Pause. »Wenn überhaupt jemand Schuld an alldem trägt, bin ich es.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Er seufzte und ließ die Hände sinken. » Ich war derjenige, der Ihrem Vater empfohlen hat, Ihren Bruder nach Saint-Rémy-de-Provence bringen zu lassen. Ich war es , der es veranlasst hat. Ich hätte auf Sie hören sollen – Saint-Paul-de-Mausole war nicht der richtige Ort für Willem. Wäre ich ein paar Stu n den früher gekommen, hätte ich es erkannt und dafür gesorgt, dass Ihr Bruder zurück nach Arles gebracht worden wäre, z u rück zu Ihnen nach Hause. Ich war zu spät. Ohne meine Ei n mischung würde er noch leben.« Frédérics Augenbrauen und Lippen waren harte, dun k le Striche.
D as, was er gesagt hatte, war nicht nur aus ihm herausgebr o chen, weil er mich davon abhalten wollte, irgendetwas zu übe r stürzen . E r glaubte tatsächlich, dass er an Willems Tod mi t schuldig war.
»Absurd«, sagte ich. Mehr brauchte es nicht; Frédéric wusste, was ich implizierte: Willems Tod hat nichts mit Ihnen zu tun, rein gar nichts. Sie haben getan, was Ihnen möglich war. Es war Costantini, nur Costantini.
Frédéric schwieg, aber ich sah ihm an, dass er nicht meiner Meinung war, ich verstand seinen Standpunkt sogar . Aus se i ner Sicht hatte Costantini nichts mit Willems Tod zu tun, so n dern war Teil dessen Halluzinationen. Meinem Bruder war die schlechte Behandlung in Saint-Paul-de-Mausole, nicht aber ein Einfluss von außerhalb zum Verhängnis geworden. Ich hing e gen wollte nicht glauben, dass Willem ohne fremde Hilfe an einen Revolver gelangt war und sich im Wahn erschossen ha t te. Er wäre nicht fähig gewesen, etwas zu tun, das seine Fam i lie verletzen konnte.
Vor meinem inneren Auge erschien ein Bild . Willem, den Blick durch das vergitterte Fenster seiner Zelle nach draußen gerichtet. In seiner Hand ein Revolver, über ihm ein Paar ka l ter Augen wie das Licht eines Leuchtturms in milchigem N e bel. Der Schein der Gaslaternen vor dem Fenster, der auf den Lauf des Revolvers fällt wie auf den bläulichen Panzer eines Käfers.
Willems Finger, die am Hahn ziehen. Der Nachhall eines Schusses, der alles ins Schwanken bringt. Willem, der zu B o den sinkt, mit aufgerissenem Auge, rußschwarzem Gesicht und zerfetzter Schläfe.
Und auf dem Steinboden eine Blutlache, die sich zu einem vollkommenen roten Kreis ausdehnt.
Nach unserem Gespräch wurden Frédérics Besuche häuf i ger. Ich wusste, dass er mich trösten und von einem unübe r legten Feldzug gegen Costantini abhalten wollte, doch ich war – und bin – entschlossen, Willems Todesursache auf den Grund zu gehen – koste es, was es wolle.
»Dann helfe ich Ihnen«, sagte Frédéric eines Tages, als wir wieder einmal über Costantini diskutiert hatten.
Ich starrte ihn an, ehe ich mich dazu durchringen konnte, den Kopf zu schütteln. »Sie haben schon viel mehr getan, als Sie hätten tun müssen. Dieser Weg ist meiner, nicht Ihrer, und ich gehe ihn allein, bis an sein Ende und darüber hinaus.«
»Was würde Willem sagen, wenn er wüsste, was Sie vorh a ben? Ich bitte Sie, Léonide … lassen Sie mich helfen.« Frédéric biss sich auf die Unterlippe, dann lächelte er unve r mittelt. »Ich kann Sie nicht allein auf dem Weg zurücklassen, auch, wenn Sie glauben, es sei Ihrer allein.«
Ich antwortete nicht, doch seine Worte sorgten dafür, dass ich die folgenden Tage fieberhaft grübelnd verbrachte. Meine größte Angst war, dass er mir nicht glauben, mich für ve r
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