Léonide (German Edition)
Unbehagen.
»Ich verlange nicht, dass Sie meine Beweggründe verstehen«, sage ich und versuche, den Zorn zu unterdrücken, der aus meiner Enttäuschung erwachsen ist. Es gelingt mir nicht. »Ich hatte gehofft, Sie könnten es, aber Sie sind wie alle anderen. Ich reise also allein nach Roussillon.« Ich erhebe mich aus meinem Sessel, um zur Tür zu gehen.
»Léonide.« Frédérics Stimme ist leise, doch er hätte genauso gut schreien können. Er greift nach meinem Arm, hält mich zurück. Ich will mich losreißen, doch dann sehe ich seinen G e sichtsausdruck. Er bringt mich zum Verstummen. Schmerz. Wut. Und noch etwas anderes, das ich nicht einordnen kann.
»Werfen Sie mir nie wieder vor, ich würde Sie nicht verst e hen«, presst er hervor. »Wenden Sie sich nie wieder so von mir ab.«
Ich schlucke, und seine Hand verschwindet von meinem Arm. Mit wachsender Verwirrung beobachte ich, wie die Kraft aus Frédéric weicht und er sich in den Sessel fallen lässt , auf dem ich noch vor wenigen Sekunden gesessen habe. Bei se i nem Anblick überkommt mich Scham.
»Verzeihen Sie.« Ich hefte den Blick auf meine Hände, die zu zittern begonnen haben. »Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
Er sagt nichts, nickt nur und reibt sich über die Stirn. Fährt sich erschöpft durch die Haare. »Ich habe zu schnell die B e herrschung verloren.«
Ich lache nervös. »Das sagen ausgerechnet Sie … dabei sind Sie einer der beherrschtesten Menschen, die ich kenne.«
»Dann kennen Sie wohl nicht sehr viele.«
Das sitzt. Er hat r echt , natürlich hat er r echt , aber es verlangt mich danach, ihm zu widersprechen. Vie l leicht, weil ich mir seine Worte nicht eingestehen will. De n noch tue ich es nicht – die aufgeladene Atmosphäre lähmt mich.
»Sie wollen nach Roussillon?«, fragt Frédéric plötzlich, nun fast schon wieder der Mensch, als den ich ihn kenne. »Dann bringe ich Sie nach Roussillon.«
Ich lächle, verwirrt von seinem plötzlichen Stimmungswa n del. »Danke, Frédéric.«
Er steht auf, stellt sich dicht vor mich. Sein Blick gleitet über mein Gesicht, ehe er an meinen Lippen hängen bleibt . Ich h a be einen Kloß im Hals und kann kaum atmen . I ch fürchte mich und will dennoch nicht fliehen, sondern warten, warten auf das Unbekannte. Nicht zum ersten Mal fällt mir auf, dass er – und es gibt einfach kein besseres Wort dafür – schön ist . A uf eine verwirrende, nicht allzu offensichtliche Art und We i se, die wahrscheinlich nicht jeder wahrnehmen würde, der ich mich aber nicht en t ziehen kann.
Seine Hand berührt meine Wange. Er schließt die Augen, dann wendet er sich plötzlich ab. »Sie sollten jetzt g e hen.«
Er wartet mit dem Rücken zu mir vor dem Kamin, eine Hand auf dem Sims. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, doch ich stelle mir vor, wie sein Blick in die Ferne schweift, während Flammen in seinen Augen tanzen. Er dreht sich nicht noch einmal zu mir um, dennoch zögere ich. Als ich mich endlich durchringen kann, das Zimmer zu verlassen, kommt es mir endgültig und quälend vor . Ich kann nicht b e greifen, und als die Tür mit einem Klicken hinter mir ins Schloss fällt, frage ich mich, warum sie Frédéric zwar aus meinem Blickfeld, nicht aber aus meinen Gedanken au s sperrt.
So verfolgt mich sein Gesicht bis in den Schlaf, und ich, die ich mich noch immer dagegen wehre, kann mir noch nicht einmal eingestehen, warum.
Am nächsten Morgen weiß ich nicht, wie ich Frédéric gege n übertreten soll. Beim Frühstück weiche ich seinem Blick und den Versuchen, sich mit mir zu unterhalten, mehr oder minder erfolgreich aus. Ich bin mir sicher, dass nicht nur er, sondern auch Adélaïde es bemerkt. Wenn ich nur wüsste, was sie denkt.
Frédéric lässt sich indes nicht so einfach abschütteln, wie ich gehofft habe. Ich weiß, dass ich mich lächerlich verhalte, komme aber nicht dagegen an. Willst du Frédéric ab jetzt perm a nent aus dem Weg gehen? , zieht mich meine innere Stimme auf. Ihn nicht mehr ansehen? Kein Wort mit ihm spr e chen?
Nach dem Frühstück ziehe ich mich an das Klavier im Au f enthaltsraum zurück. Ich setze mich auf das verschlissene Polster des Klavierhockers und suche mit fahrigen Fingern die Notenblätter heraus. Ich habe gerade zu spielen begonnen, als ich seinen Blick im Nacken spüre . Es ist, als h ätt e jemand meinen Namen gerufen. Meine Finger verharren über den Tasten.
Frédéric lehnt entspannt, die Hände in den Hosentaschen, in der Tür und beobachtet
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