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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Schaefer
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nach Luft schnappend die dunkle Oberfläche, nur um erneut von Schmerzen überwältigt zu werden.
    Der Schmerz ist spitz und verwirrend, und er brennt – brennt überall. Durch das Tosen des Feuers höre ich Stimmen und Gelächter.
    So weit ist es also mit dir gekommen, Léonide. Du hättest besser auf dich aufpassen sollen.
    Costantini?
    Wieder ein Lachen. Wenn du mich so nennen willst.
    Wie soll ich dich sonst nennen?
    Es bleibt still, ich glaube, er ist verschwunden. Dann aber tritt er aus den züngelnden Flammen hervor, als hätte er sich aus ihnen materialisiert, und ich erkenne sein junges, makell o ses Gesicht, das so schön ist, dass es das Feuer überstrahlt. Es ist eine Schönheit, die ebenso berückend wie trügerisch ist – eine Naturgewalt, die wie die tosende See ga n ze Landstriche unter sich begraben kann.
    Ich habe viele Namen und doch keinen. Ich bin der, der dich besser kennt als jeder andere. Der, der deine Seele sieht, deine Gedanken spürt. Ich liebe deine Augen, denn sie sind der Spiegel deiner Seele, genauso wie sie der Spiegel zur Seele deines Bruders waren. Ich liebe es, durch die Iris in die Gedankenwelt eines anderen einzutreten, eine Welt, die nur aus Stimmen und Farben besteht.
    Warum hast du uns das angetan? Ich würde ihn gern meinen Zorn spüren lassen, doch ich kann nicht. Stattdessen bleibe ich merkwürdig emotionslos, in Starre gefangen.
    Costantinis Augen spiegeln die Flammen wider, die uns ei n schließen. Ein Funkenregen, der die Kälte vertreibt. Was fr ü her einmal ohne Sehkraft war, leuchtet nun in leidenschaftl i chem Feuer, dessen Farbe sich über den rußigen Himmel e r gießt.
    Weil ich es tun musste, Léonide. Es ist meine Aufgabe.
    Wer bist du? Ich habe so viele Fragen an ihn. Warum bist du so grausam zu uns? Wie kommt es, dass du deine Gestalt ständig änderst?
    Ich habe keine Gestalt . Costantini lächelt . Im Feue r schein wirkt sein Haar nicht weißblond, sondern rötlich. Mein Aussehen hängt davon ab, wer mich sieht. Ich bin einer und viele. Ich bin alle Menschen, aber ich habe keine Seele wie sie, obwohl ich alles dafür gäbe. Ich bin grausam, weil man mich dazu gemacht hat. Ich bin wie ihr.
    Wer ist ›wir‹?
    Die Menschen, Léonide, die Menschen. Du hältst mich für ein feindl i ches Prinzip, aber du hast u nrecht . Ich bin nichts weiter als ein Spiegel. Ich spiegle alles, was ihr seid und tut.
    Ich verstehe das nicht.
    Du bist ein Mensch. Costantini öffnet die Hände, von denen etwas Gallertartiges tropft. In der Mitte seiner Handfläche li e gen zwei Murmeln, rund und blank. Er legt eine von ihnen an die Lippen, sodass sie beschlägt. Als er sie in seine g e öffnete Hand zurücklegt, ist sie weiß und blutig. In ihrer Mitte leuchtet ein blauer Kreis, in dessen Zentrum sich ein weiterer, kleinerer Kreis befindet, der vollständig schwarz ist. Eine Iris.
    Ich betrachte den Augapfel und die Murmel in Costantinis Hand, ehe er sich abwendet und wieder in den Flammen ve r schwindet, aus denen er entstanden ist. Ich blicke ihm nach, bis die Dunkelheit mich erneut verschluckt und ich mich in einem Strudel aus Vergessen auflöse.
    Als hätte ich niemals existiert.
     
    »Sie wacht auf.«
    »Lass ihr Zeit. Sie muss sich ausruhen.«
    Ich spüre, wie die Müdigkeit aus meinen Gliedern weicht und ich langsam zu mir komme. Mein Kopf ist heiß und schwer, mein Atem flach. Ich halte die Augen geschlossen und lausche den Stimmen, die trotz ihrer Nähe gedämpft klingen.
    »Ich dachte, sie würde nicht mehr aufwachen.« Die Stimme eines Mannes, tief und rauchig, aber auch besorgt.
    »Ja. Ihr Fieber … « Die zweite Stimme gehört einer Frau. Sie ist leise, aber entschlossen.
    Ich versuche, mich zu rühren, doch mein Körper ist der Grenze zwischen Schlafen und Wachen noch zu nah.
    Was ist geschehen? Warum kann ich mich an nichts mehr e r innern? Es ist, als hätte man ein noch nicht getrocknetes Ö l gemälde mit einem groben Pinsel verwischt und danach mit einer dicken, schwarzen Schicht übermalt. Meine Gedanken sind wirr, nur hin und wieder blitzen kleine Bilder auf, doch ich bekomme sie nicht zu fassen, ehe sie wieder in die Tiefen meines Unterbewusstseins abtauchen.
    Ich spüre, wie sich eine kleine, knotige Hand auf meine Stirn legt. Sie ist so kalt, dass es brennt.
    »Gott im Himmel, sie glüht noch immer.«
    Meine Erinnerung kehrt nicht etappenweise, sondern schnell und plötzlich zurück. Sie lärmt und schlägt um sich, verursacht solch pochende Schmerzen,

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