Léonide (German Edition)
Hölle verfolgt uns, bis wir sterben, was Strafe genug ist.
Eigentlich ähnelt meine Einstellung dem, was Costantini g e sagt hat. Die Grausamkeit, das sind die Me n schen. Es gibt kein feindliches Prinzip.
Jage ich also einer Illusion hinterher?
Ich zucke zusammen, als etwas Feuchtes, Kaltes meine Stirn berührt. Ein feuchtes Tuch. Behutsam taste ich mich durch dunstige Schleier und undeutliche Schemen. Da ist jemand, der sich um mich kümmert. Der das Feuer in meinem Inneren zu vertreiben versucht.
Aber es kann nicht gelöscht werden . Costantini lacht . Du musst le r nen, damit zu leben.
Solche Schmerzen … Wie heiß das Feuer brennt . Wie schnell und unaufhaltsam es sich ausbreitet . Der Geruch von Asche und verbranntem Haar. Haut, die Blasen wirft. Dann Schreie, hoch und markerschütternd.
»Sie hat Schmerzen.« Die männliche Stimme klingt ratlos. Ich höre sie wie aus weiter Ferne, wie durch dichtes, feuchtes Blattwerk.
»Hol noch mehr kaltes Wasser.« Das Tuch, das inzwischen die Temperatur meiner Haut angenommen hat, verschwindet von meiner Stirn. Ich höre das Schwappen von Wasser gegen Holz. Einen Moment später liegt das Tuch wieder kühl auf meinem glühenden Gesicht. Schritte entfernen sich, dann wird knarrend eine Tür geöffnet.
Ein Wimmern. Ich spüre, dass sich meine Lippen bewegen, dass die spröde Haut wie Sandpapier aneinanderreibt. Das Wimmern wird lauter, eindringlicher. Mein Wimmern.
Das Geräusch nahender Schritte katapultiert mich ins Hier und Jetzt zurück. Offenbar ist der Mann ins Zimmer zurüc k gekehrt. Erneut höre ich Wasser schwappen.
»Hier«, brummt er beinahe mürrisch.
Etwas Hölzernes, das auf einem Tisch abgestellt wird. Wi e der wird das Tuch von meiner Stirn genommen, wieder wird es in frisches Wasser getaucht, ausgewrungen und auf mein Gesicht zurückgelegt. Es dauert nur Augenblicke, bis die a n genehme Kühle verschwunden ist und durch das zornrote L o dern des Feuers ersetzt wird.
»Mach, dass es aufhört«, flüsterte ich. Wen ich meine, weiß ich selbst nicht. Costantini? Gott? Die freundliche Frau oder den schwerfälligen Mann? Meinen eigenen Körper?
»Schhhh, Liebes.«
Endlich öffnen sich meine L ider . Mein Blick ist dunstig ve r schleiert, als hätte ich Schlaf in den Augen. De n noch erkenne ich die Umrisse eines einfach eingerichteten Zimmers. Hol z dielen, ein Tisch und mehrere Stühle, ein kleiner, schmu t ziger Kamin, ein paar alte Sessel und ein winziger Nachttisch – nicht zu vergessen das schmale Bett, in dem ich liege. Mit den Fingerspitzen streiche ich über grobe Bettw ä sche und mehrere Schichten aus Wolldecken und Schaffell.
Ich versuche, mich aufzurichten, doch die Frau hält mich z u rück, drückt mich sanft, aber bestimmt auf die Kissen zurück.
»Oh nein, meine Liebe«, sagt sie. Ich drehe d en Kopf zur Seite und schaue sie an. Eine schmale Frau mit einem ve r härmten Gesicht, Augen voll beruhigender Wärme. Sie trägt ein dunkelbraunes Kleid aus grobem Baumwollstoff, dazu e i nen weißen, gestärkten Kragen und eine tadellos saubere Haube.
»Sie waren sehr krank«, sagte sie. »Sie müssen sich ausruhen und wieder zu Kräften kommen.«
»Wo bin ich?«
»Na, in Les Baux natürlich.« Die Frau lächelt, ein Ausdruck, der ihre Lippen noch schmaler a ussehen lässt. Um ihre Augen und ihren Mund herum breitet sich ein Netz aus Fältchen aus. Es ist unmöglich, ihr Alter einzuschätzen; einerseits ist ihr G e sicht wettergegerbt, ihr Körper gebeugt, and e rerseits könnten dies ebenso gut Zeichen körperlicher A n strengung sein. Ihre knotigen Hände erzählen von schwerer Arbeit im Freien, vie l leicht von frühester Kindheit an.
Verwirrt schaue ich mich in dem fremden Zimmer um. Der Mann scheint meinen suchenden Blick zu bemerken. Er tritt einen Schritt vor, sodass ich auch ihn näher in Auge n schein nehmen kann. Er ist groß und breit, mit Muskeln, die sich u n ter seinem schmutzigen Leinenhemd anspannen. Dunkle H o sen, abgetragene Stiefel, eine schwarze Mütze. Se i ne Hände sind groß, mit breiten Fingern, die Lippen vollfle i schig und von einem ungezähmten Bart umwuchert. In der Hand hält er eine Pfeife.
Er räuspert sich. »Sie befinden sich im Hause Segal, in der Rue de la M ontagne in Les Baux. Ich bin Herbert Segal, und das Weib, das Ihnen gerade zum wiederholten Mal ein nasses Tuch auf Ihr hübsches Gesicht klatscht, ist Georgette, meine Frau. Brauchen Sie auch die Uhrzeit?« Er wartet meine Antwort nicht ab.
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