Léonide (German Edition)
La Prud’homie und das klassizistische Maison de l’Europe sowie die Villa Ariane , ein Anwesen im griechischen Stil, das sogar über ein eigenes kle i nes Amphitheater verfügt.
Doch all das fesselt meine Aufmerksamkeit nur vorüberg e hend. Es ist nicht der Grund, weshalb ich hier bin.
Nachdem Frédéric und ich uns eine Unterkunft gesucht, uns gewaschen und ausgeruht haben, zieht es mich, den Rufen der Möwen folgend, wieder nach draußen. Mit einem Mal bin ich wieder hellwach, springe von meinem Bett, streiche mein Kleid glatt und schnüre in hastiger Manier meine Stiefel. Frédéric stöhnt auf und dreht sich zur Seite, wobei mir der G e ruch von Seife und Moschus entgegenschlägt.
»Lass mir wenigstens einen Augenblick Zeit, um wieder wach zu werden und mich einigermaßen ansehnlich zu m a chen«, sagt er mit belegter Stimme.
»Ich fürchte, das ist ein Ding der Unmöglichkeit.«
Frédéric dreht den Kopf in meine Richtung, die Müdigkeit scheint aus seinen Gliedern gewichen. Er bedenkt mich mit einem Grinsen, das ebenso gut ein Zähnefletschen sein kön n te.
»Das fürchtest du also? Du solltest vor allem mich fürchten.«
Ich binde betont gelangweilt meinen zweiten Stiefel. »Warum das?«
Frédéric zuckt, mich nachahmend, mit den Schultern. »Ich könnte dir verbieten, zu gehen.«
Ich unterdrücke ein Lächeln. »Könntest du nicht.« Ich stehe auf und strecke ihm die Hand entgegen. »Das Meer wartet.«
Er lächelt, dann reicht er mir die Hand und steht auf. Eine Minute später ist er bereit zum Gehen. Eine, wie ich vermute, beabsichtigte Nachlässigkeit, die ihn von anderen Männern unterscheidet. Zum ersten Mal überkommt mich so etwas wie Besitzerstolz.
»Du ziehst das Meer also mir vor«, sagt Frédéric, während ich mich bei ihm einhake und wir das Zimmer verlassen. »Ich habe es immer geahnt.«
Meereswellen, die sich an den hellen Felsen brechen und nach Salz und Algen riechen. Weißer Sand, der auf den Fu ß sohlen brennt und mit jedem Schritt stärker nachgibt, bis man bis zu den Knöcheln darin versunken ist und die eigenen Spuren im Sand nachverfolgen kann. Die Schreie der Möwen, die immer wieder im Sturzflug ins silberne Wasser schießen, um nur w e nige Sekunden später mit ihrer Beute wieder aufz u steigen.
Ich atme die Luft, die nach rauer See und trockenem Land schmeckt. Sie trägt den Duft der Rebstöcke heran, die pralle, tiefrote Früchte tragen. Unter alldem liegt, kaum wahrneh m bar, der Geruch des Kalksteins, staubig und beißend, der e i nem bei jedem Atemzug in der Kehle brennt.
»Wunderschön«, sage ich und betrachte das mal flüsternde, mal tobende, mal seufzende Meer.
Frédéric verschränkt seine Finger mit meinen, den Blick wie ich auf das meeresgrüne Licht, die spritzende Gischt und den weißen Schaum gerichtet, der mit jeder neuen Welle den Sand am Ufer überschwemmt.
Ich schlüpfe aus meinen Schnürstiefeln und Strümpfen und lasse meine Zehen im feuchten Sand versinken. Mit jeder We l le, die meine Knöchel umspült, werfe ich etwas von dem Ba l last, den ich nun schon so lange mit mir herumtrage, von mir.
Schließlich setzen Frédéric und ich uns nebeneinander in den sonnendurchwärmten Sand. Keiner von uns spricht, nur das Rauschen der Wellen und das Stürmen des Windes durc h bricht die Stille.
Dann Frédérics Stimme: »Es gibt da etwas, dass ich dir e r zählen möchte … schon lange.«
Es dauert einen Augenblick, bis ich aus den Tiefen meiner Träumerei aufgetaucht bin. »Wirklich? Was denn?«
Ich beobachte Frédéric, wie er einen imaginären Fleck auf seinem Hemdsärmel wegreibt. Er scheint seine Worte gena u estens abzuwägen. »Meine Vergangenheit ist nicht so sa u ber, wie du denkst.«
Nun hat er meine ganze Aufmerksamkeit. »Von was redest du?«
Über Frédérics Gesicht zieht beinahe unmerklich ein Scha t ten von Melancholie. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Wie wäre es mit dem Anfang?«
Frédérics Mund verzieht sich zu einem leisen Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. Die Worte scheinen ihm in der Kehle festzustecken.
»Du bist nicht die erste Frau, die ich liebe.«
Ich lächle. »Du machst dich über mich lustig.«
Er weicht meinem Blick aus. »Ich meine es ernst, Léo. Du bist nicht die erste … «
»Du verstehst mich falsch. Glaubst du denn, ich bin davon ausgegangen, deine Erste zu sein? Du bist älter als ich. Natü r lich hast du schon andere Frauen geliebt.«
Frédéric schaut mich an, als sähe
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