Léonide (German Edition)
Frédéric einen Schritt zurücktritt, lodern seine Augen in rotem, fast zornigem Feuer. Der Ausdruck bringt etwas in mir zum Klingen, durchläuft mich kalt. Ich fürchte ihn und seine Wut, die ihn unberechenbar macht.
»Was tust du hier?« Ich spüre, dass ich zitterte, obwohl ich noch immer die Hitze seiner Lippen auf meinen spüre. »W a rum bist du zurückgekommen?«
Frédéric bewegt die Lippen, seine Stimme dringt wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Von draußen hörte ich das Ra u schen und Zirpen der Zikaden.
»Du willst mich nicht.« Träge, mürbe Worte wie Wasse r dampf. Er versucht nicht einmal, zu verbergen, dass seine Stimme beinahe wegbricht.
»Ich weiß es nicht«, lüge ich.
Frédéric lauscht meinen Worten nach, bis in der Stille ve r klingen. »Du weißt es nicht?«
Seine Hände schweben in der Luft, ehe er sie zurücksinken lässt. »Ich kann dich nicht allein lassen, und das macht mir Angst. Ich kann nicht damit umgehen. Es ist lange her, dass … « Er unterbricht sich und sieht sich um wie jemand auf der Suche nach versteckten Antworten.
Ich atme auf. Auch er hat Angst, das ist tröstlich. Dann spürt also auch er das Endgültige, Unumkehrbare, ohne zu wissen, wie er damit umgehen soll.
»Dann lass mich nicht allein.« Ich bleibe ganz still stehen. In meinem Inneren kämpfen zwei Gefühle: Das eine will ihn für sich haben, das andere warnt mich, dass ich nicht gut für ihn und seiner Liebe nicht gewachsen bin.
Keine Antwort. Stattdessen ein Blick, der mich erschüttert, als hätte er die Erde zum Beben gebracht. Etwas Brennendes auf meiner Stirn, ein Mal, mit glühendem Eisen auf meine Stirn gebrannt. Ich weiß, mein Widerstand ist zwecklos. Ich will mich nicht länger wehren.
Aber hier geht es nicht darum, was du willst, Léonide. Darum ging es nie, darum wird es nie gehen.
Ich drehe den Kopf zur Seite, um die Stimme nicht hören zu müssen. Stille, Schlaf. Frédéric hebt die Hand, auf einmal ist alles andere bedeutungslos. Als seine Fingerspitzen meine Lippen berühren, erwacht die Welt aus ihrer Starre. Ein Fla t tern kräftiger Schwingen, das Tropfen von Wasser auf den Höhlenboden, das Tanzen von Staubkörnern in den Strahlen der Mittagssonne.
»Ich habe so lange nach dir gesucht«, sagt Frédéric. Ich fühle dasselbe, begreife, dass ich nicht allein bin. Jeder Atemzug ist zu schmerzhaft, um nicht real zu sein. Frédéric bettet mich auf den m it Piniennadeln bedeckten Boden, ehe wir uns erneut e r kennen .
Es wird kälter. Das Sonnenlicht wird rot, dann blau, bis es schließlich erlischt und von Sternen und Mond abgelöst wird, deren Schein über den Himmel zieht wie Laternenglanz über eine spiegelglatte See. Wolken jagen wie Reiter in Kleiderfetzen über den Himmel. Noch immer singen die Zikaden, ein G e räusch, das hin und wieder von den flatternden Flügeln der Fledermäuse und Nachtfalter durchbrochen wird. Die schroffe Felsenlandschaft liegt verlassen wie Silber im Licht des Mo n des. Steinsplitter und Staub, der von den mächtigen Felsen ri e selt und seinen Weg ins Tal findet; Wasser, das Tropfen um Tropfen in die Ritzen zwischen den Steinen sickert; silbergr ü ne, schuppige Eidechsenschwänze, die zwischen moosüberz o genem Mauerwerk aufblitzen, ehe sie vom Dunkel der Nacht verschluckt werden.
Ich habe d en Kopf auf Frédérics Schulter gebettet und rü h re mich nicht, obwohl sich Steinspitzen und Pinienn a deln in meine Schulter bohren. Frédéric hat die Augen nur halb g e öffnet. Hier in der Höhle klingen unsere Atemzüge unnatü r lich laut.
Frédérics Fingerspitzen streifen meine Schultern, meinen Rücken, meine Arme. Als er meine Hände nimmt, bemerkt er die Kratzer und Schnitte, die ich mir beim Klettern über die Felsen zugezogen habe. Ich spüre sie kaum noch. Frédéric fragt nicht, wie es dazu gekommen ist.
Später sagt er: »Ich hatte nichts mit dem Verschwinden des Tagebuchs zu tun.«
Ich drehe mich in seinen Armen zu ihm um. »Das weiß ich. Vergiss, was ich gesagt habe.«
Frédéric betrachtet meine halb geschlossenen Augenlider, mein blasses, müdes Erscheinungsbild. »Was ist passiert, nac h dem du Roussillon verlassen hast?«
Wie viel kann ich ihm erzählen? Ich will nicht, dass er sich zu viele Gedanken um mich macht, andererseits sehne ich mich danach, mich ihm anzuvertrauen. Mit wem, wenn nicht mit ihm, kann ich über meine Ängste sprechen? Über diese Angst, wahnsinnig zu werden, den Halt in der Welt zu verli e ren wie mein
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