Léonide (German Edition)
Sie konnte den Gedanken, vielleicht ein totes Kind zu gebären, nicht ertragen und wusste, dass die Krankheit schon zu weit fortgeschritten war, um eine Heilung zu garantieren.«
Ich öffne den Mund, ohne dass ein Laut über meine Lippen kommt. Kein tröstendes Wort, nur Sprachlosigkeit.
Frédéric steht auf und klopft sich den Sand von den Kle i dern. »Jetzt weißt du, wer ich bin. Dass meine Liebe wanke l mütig ist und Menschen in den Tod stürzen kann.«
Als auch ich aufstehe, rieselt Sand von meiner Kleidung. Schlagartig finde ich meine Sprache wieder. »Glaubst du wir k lich, du bist schuld an ihrem Tod? Du wolltest ihr doch helfen, oder nicht? Du trägst ungefähr so viel Schuld an ihrem Tod, wie ich an Willems trage.«
Frédéric scheint mich nicht gehört zu haben. »Ich hätte ihr und Edmond ihre Schwangerschaft verheimlichen sollen, nur für eine Weile. Vielleicht hätte ich ihr helfen können.« Er lacht freudlos auf. »Meine Arbeit als Arzt war schon damals zum Scheitern verurteilt.«
»Nein.« Ich trete vor ihn, ergreife seine Handgelenke. »Red nicht so einen Unsinn. Du bist ein guter Arzt. Ein guter Mensch. Frédéric, du bist einer der besten, die ich kenne.«
Meine Stimme bricht, die Worte fallen wie trockenes Herbs t laub zu Boden. Nun erst verstehe ich seine anfangs merkwü r dige Haltung mir gegenüber, die Art, wie er sich immer wieder in sich selbst zurückgezogen hat. Er hat sich davor gefürchtet, ich könnte ihn verletzen. Und ist es nicht auch so gekommen?
Und er dachte, es läge an ihm und daran, dass er nicht weiß, was Liebe ist .
Frédéric scheint zu wissen, was ich denke. »Nach Camilles Tod habe ich mir geschworen, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen. Als ich dann aber dich kennengelernt habe, löste sich all das in Luft auf. Ich fühlte mich wie damals – ein ahnungsloser junger Mann. Und ich konnte dir ei n fach nicht misstrauen, weil du so unschuldig und traurig g e wirkt hast. Weil du nicht wusstest, was deine Gefühle zu b e deuten hatten und niemals von einem Mann abhängig sein wolltest, genau so, wie ich niemals wieder von der Liebe einer Frau abhängig sein wollte. Ich wollte dich nicht lieben. Du warst die Tochter eines Freundes, unerreichbar, ein Tabu. Und doch … «
»Ja. Und doch.« Ich blicke in den Nachthimmel. »Ist es nicht merkwürdig, dass wir das Licht der Sterne erst sehen, wenn viele von ihnen bereits erloschen sind?«
Ich lasse Frédérics Handgelenke los und schlüpfe wieder in meine Stiefel. Obwohl ich ihn nicht ansehe, spüre ich, dass sein Blick jeder meiner Bewegungen folgt.
»Sie war mir ähnlich«, sage ich. »Camille. Sie hat genauso wenig Wert auf ein angemessenes Benehmen gelegt wie ich, oder?«
Ich weiß, was er sagen wird. Was er mir schon seit geraumer Zeit zu sagen versucht. Er fürchtet, dass ich ihn eines Tages auf dieselbe Art und Weise verletzen könnte, wie Camille ihn verletzt hat. Vielleicht auch anders. Das habe ich ja bereits.
Die Luft schmeckt plötzlich nicht länger nach Salz, sondern nach Asche. Nach Tod?
Ja, du wirst sterben, du wirst dem Tod schon bald sehr nahe sein, Léonide.
»Nein, du bist nicht wie sie. Nicht im Geringsten.« Frédéric stellt sich hinter mich, ich spüre die Wärme, die von ihm au s geht. »Camille war wie ein Kind voller Abgründe. Sie spielte ein gefährliches Spiel. Du bist eine Frau, so unschuldig wie ein junges Mädchen, aber mit einer Stärke, die ich selbst gern b e sitzen würde.«
Ich reibe mir das Gesicht und lächle. Als er mein Lächeln erwidert, breitet sich rund um seine Augen ein Netz aus Lac h fältchen aus.
»Ich glaube, nach alldem brauche ich erst einmal etwas zu trinken«, sagt er. Seine Zähne blitzen in der Dunkelheit auf. »Möchtest du in eines der Cafés auf dem Place Georges Cl e menceau gehen?«
Als ich nicke, legt er den Arm um meine Schultern. Wir schlendern zurück in die Stadt, wo die Lichter heller brennen und keinen Raum für Dunkelheit, aber auch nicht für Mon d schein und den Glanz der Sterne lassen.
Wir finden einen Tisch auf der Terrasse des Café de N uit , dessen gelbe Hauswände, rot gestrichene Türen und gusse i serne Tische und Stühle angenehme Behaglichkeit verströmen. Ich bestelle einen Kaffee mit Milch, Frédéric einen Absinth. Ich denke an Willem, der der G rünen Fee oft zugesprochen und mir von ihrer Wirkung erzählt hat.
»Als ich noch in Paris studiert habe, haben meine Kommil i tonen und ich uns abends häufig im Café
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